Die Anwälte der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wollen ein Gutachten zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München und Freising in dieser Woche vorstellen. Die Untersuchung ist nicht die erste ihrer Art. Zwölf Jahre nach Beginn der Missbrauchsdebatte gibt es inzwischen in etlichen der 27 katholischen deutschen Bistümer Aufträge für Aufarbeitungsprojekte durch externe Fachleute. Einige sind auch schon - zumindest in Teilen - veröffentlicht.
Studie der Deutschen Bischofskonferenz
Den Anstoß gab in den meisten Fällen die 2018 vorgelegte MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz: Forscher mehrerer Disziplinen aus Mannheim, Heidelberg und Gießen (MHG) haben in Personalakten von 1946 bis 2014 bundesweit mindestens 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe durch 1.670 Priester und Ordensleute ohne Namensnennung ermittelt. Ferner haben sie Formen des Missbrauchs beschrieben und kirchliche Strukturen identifiziert, die Missbrauch begünstigen könnten. Doch schon im Abschlussbericht empfahlen die Autoren eine Vertiefung ihrer Forschungen.
Eigene, diözesanweite Aufarbeitungsstudien von unterschiedlichem Umfang legten bislang die fünf Bistümer Aachen, Berlin, Erfurt, Köln und Limburg vor. In Augsburg, Hildesheim, Regensburg und Rottenburg-Stuttgart wurden Teilstudien veröffentlicht, etwa zu den Regensburger Domspatzen oder einzelnen kirchlichen Institutionen. In neun weiteren Bistümern (Essen, Freiburg, Mainz, München-Freising, Münster, Osnabrück, Paderborn, Trier und Würzburg) sind diözesanweite Gutachten in Arbeit. Im Erzbistum Hamburg läuft eine Teiluntersuchung.
Unabhängige Aufarbeitungskommissionen
Die acht Ortskirchen von Bamberg, Dresden-Meißen, Eichstätt, Fulda, Görlitz, Magdeburg, Passau und Speyer haben noch keine eigenen Aufarbeitungsprojekte angestoßen. Zum Teil haben sie dies bewusst den inzwischen in allen Bistümern gebildeten unabhängigen Aufarbeitungskommissionen überlassen. Aus diesen sind - auch in anderen Bistümern - demnächst weitere Untersuchungen zu erwarten.
Juristische Aufarbeitung
Die einzelnen Projekte unterscheiden sich in ihren Schwerpunkten, Zielsetzungen und Herangehensweisen. Nicht alle sind wissenschaftliche Studien. Ähnlich wie München entschied sich etwa das Bistum Aachen für eine juristische Aufarbeitung und beauftragte mit WSW sogar dieselbe Anwaltskanzlei. Die Gutachter hatten den Auftrag, auf Basis von Aktenrecherche und Gesprächen systemische Ursachen für sexualisierte Gewalt durch Kleriker herauszuarbeiten. Ferner sollten sie den Umgang der Leitenden mit Missbrauchsfällen prüfen, Verantwortliche benennen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Das 2020 veröffentlichte Gutachten beschuldigt unter anderen den früheren Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff (81), Beschuldigte oft mit "unverdienter Milde" behandelt zu haben.
Gutachten im Erzbistum Köln
Auch die Erzdiözese Köln betraute zunächst WSW mit einem ähnlichen Auftrag, ließ das Gutachten jedoch unter Berufung auf "methodische Mängel" nicht veröffentlichen. Stattdessen gab Erzbischof Rainer Maria Woelki eine neue Untersuchung bei der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger in Auftrag. Sie wurde im vergangenen Jahr präsentiert und weist acht hohen Amtsträgern insgesamt 75 Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchstätern nach, etwa dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße (11 Pflichtverletzungen) und den Kölner Weihbischöfen Ansgar Puff (1) und Dominikus Schwaderlapp (8).
Anders im Erzbistum Berlin: Zwar wurden dort ebenfalls Juristen verpflichtet, aber zunächst keine Namen genannt. Die Erzdiözese ließ Anfang 2021 zunächst nur allgemeine Erkenntnisse aus der Untersuchung veröffentlichen. Erst nach Prüfung wurden die einzelnen Fälle der Beschuldigten, teilweise mit deren Namen, publik gemacht. Eine vom Erzbistum berufene Kommission soll nach weiterer Auswertung der Studie dann auch Namen von Verantwortungsträgern nennen.
Historische Untersuchung
Das Bistum Würzburg beauftragte im September 2021 die Universität Würzburg, innerhalb von fünf Jahren das Missbrauchsgeschehen seit 1945 zu erforschen. Die Leitung des Projekts hat der Kirchenhistoriker Dominik Burkard. Ziel ist es, alle Missbrauchsfälle im Bistum zu dokumentieren und Strukturen zu identifizieren, die Missbrauch ermöglichten oder halfen, ihn zu verschleiern. Bereits 2018 hatte Bischof Franz Jung eine externe Kanzlei beauftragt, die Personalakten ergänzend zur MHG-Studie für den Zeitraum von 1945 bis 1999 nach Hinweisen zu Missbrauch zu durchsuchen. Eine weitere Untersuchung beschäftigte sich mit den früheren Knaben-Internaten, den sogenannten Kilianeen. Dabei stießen die Juristen im Aktenbestand zwar nicht auf Hinweise zu weiteren Fällen sexuellen Missbrauchs, jedoch auf zahlreiche Fälle körperlicher Gewalt.
Für das Erzbistum Hamburg untersuchen derzeit Psychologinnen Missbrauchsfälle in der Region Mecklenburg. Ziel ist unter anderem, die individuellen Erfahrungen der Betroffenen zu dokumentieren. Darüber hinaus sollen die Forscherinnen das Geschehen in die damaligen kirchlich-institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einordnen.
Schutz der Täter
Trotz der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen deuten die Ergebnisse der bisher veröffentlichten Studien in dieselbe Richtung: Früheren und heutigen Funktionsträgern ging es oft mehr um den Schutz der Täter als der Betroffenen, Verantwortlichkeit waren nicht klar geregelt, die Aktenführung war lückenhaft.
Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch schon für das Erzbistum München und Freising. Dort hatte die Kanzlei WSW bereits 2010 Personalakten gesichtet, aber nur eine Kurzfassung der Ergebnisse publiziert - ohne Namensnennungen. Das soll bei der nun geplanten Präsentation anders sein.