Psychoonkologin zur Bedeutung von unterstützender Begleitung

"Aushalten helfen ist schon total viel"

"Krebs" - wohl kaum eine Diagnose haut einen Menschen so um wie diese. Bei der Therapie ist eine unterstützende psychologische Begleitung wichtig, sagt Ambra Marx, ärztliche Leiterin der Psychoonkologie am Bonner Universitätsklinikum.

Autor/in:
Angelika Prauß
In der Krebsthearpie ist auch eine psychologische Betreuung sehr wichtig / © fizkes (shutterstock)
In der Krebsthearpie ist auch eine psychologische Betreuung sehr wichtig / © fizkes ( shutterstock )

KNA: Frau Dr. Marx, warum ist gerade bei Krebs eine psychologische Unterstützung so wichtig?

Ambra Marx (Ärztliche Leiterin der Psychoonkologie am Bonner Universitätsklinikum): Natürlich ist bei allen chronischen Krankheiten eine psychologische Unterstützung sinnvoll. Aber eine Krebserkrankung greift sehr massiv ins Leben ein. Zum einen sind die Therapien - mit Blick auf eine Chemotherapie und ihre Nebenwirkungen - sehr heftig; das belastet Krebspatienten sehr. Zum anderen macht die Diagnose große Angst: Sie kommt meist ganz plötzlich, reißt die Patienten komplett aus ihrem gewohnten Leben und macht ihnen bewusst, dass ihr Leben endlich ist.

Es ist die eine gemeinsame menschliche Erfahrung, dass wir irgendwann einmal sterben werden. Zugleich tun wir im Alltag viel dafür, diese Tatsache zu verdrängen: Wir stürzen uns in die Arbeit, bekommen Kinder, bauen Häuser, pflanzen Bäume, um auf einer anderen Ebene Unsterblichkeit zu suggerieren. Durch die Krebserkrankung erlebt man dann plötzlich, dass der eigene Tod sehr nah sein kann. Für den Umgang mit diesem Schrecken kann psychoonkologische Unterstützung wichtig sein.

Weniger Krebsbehandlungen im Krankenhaus im ersten Corona-Jahr

Im ersten Corona-Jahr sind in Deutschland weniger Patientinnen und Patienten wegen einer Krebserkrankung im Krankenhaus behandelt worden. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag zum Weltkrebstag (Freitag) mitteilte, wurden im Jahr 2020 etwa 1,45 Millionen an Krebs erkrankte Menschen im Krankenhaus versorgt, 6 Prozent weniger als im Jahr 2019 mit 1,54 Millionen Patienten. Außer den Krebsbehandlungen sei auch die Zahl der Krebsoperationen in Krankenhäusern um 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen.

Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchung (dpa)
Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchung / ( dpa )

KNA: Operationen und Chemotherapien sind wichtig. Welche Rolle spielt die Psyche beim Bewältigen der Krankheit?

Marx: Zunächst eine Vorbemerkung. Früher hat man gedacht, es gibt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und psychische Stresssituationen, die dazu führen, dass man Krebs bekommt. Mein Fachgebiet, die Psychoonkologie, hat herausgefunden, dass diese These so nicht stimmt. Viele Patienten und Patientinnen haben sie aber noch im Kopf. Sie denken: Weil ich immer so gestresst oder so zwanghaft bin, habe ich jetzt Krebs bekommen.

Aber natürlich kann die Psyche wesentlich dazu beitragen, dieses schlimme Erleben der Erkrankung und der belastenden Therapie in mein Leben zu integrieren: Wie gehe ich damit um? Wie normal kann ich meinen Alltag noch erleben? Schaffe ich es noch, mein Leben zu genießen, oder überlagert die Krebserkrankung alles? Menschen beantworten diese Fragen für sich sehr unterschiedlich. Das hängt auch damit zusammen, wie es ihnen vor der Erkrankung psychisch ging.

KNA: Wie wichtig ist der Aspekt Hoffnung bei der Therapie?

Marx: Hoffnung ist sicherlich ein großes Thema, denn die meisten Menschen hängen am Leben und möchten gerne hoffen. Einige Studien belegen, dass Patienten, die positiv gestimmt gegen ihre Krankheit ankämpfen, ihre Krebserkrankung besser meistern. Das hat sich jedoch nicht durchgängig gezeigt. Auch jemand, der ganz traurig, mutlos und hoffnungslos durch seine Krebserkrankung geht, kann sie überstehen!

Ich betone das, weil viele Menschen so einen Druck haben und denken: 'Ich muss jetzt positiv denken. Und wenn ich nicht positiv denke und hoffnungsvoll bin, dann kann ich meine Krebserkrankung nicht schaffen.' Das stimmt aber einfach nicht. Es ist natürlich für einen selber schöner, mutvoll und hoffnungsvoll zu sein, aber es ist nicht essenziell für das Überstehen einer Krebserkrankung.

KNA: Wie stehen Sie Patienten konkret bei? Was geben Sie ihnen mit?

Marx: Grundsätzlich ist es weniger ein Mitgeben, als dass ich gemeinsam mit meinen Patient*innen versuche, in ihnen das zu finden, was hilfreich ist. Ich versuche herauszufinden, was die persönliche Ressource und die persönliche Stärke ist. Ich bin nicht allwissend. Ich begleite die Reise meiner Patient*innen ein Stück.

Das Wichtigste, das ich therapeutisch mache: Ich öffne Räume für Gefühle. Ich biete einen Ort an, in dem alle Gefühle, alle Gedanken, alles was da ist, geäußert werden können. Das ist wichtig, denn diesen Raum gibt es in unserem Alltagsleben normalerweise nicht.

KNA: Warum?

Marx: Wenn ein Mensch an Krebs erkrankt, ist er oft von sehr widersprüchlichen Gefühlen geplagt. Da ist vielleicht ein Teil, der sagt: 'Ich bin kämpferisch und ich packe das'. Ein anderer Anteil sagt vielleicht: 'Ich bin hoffnungsvoll'. Aber es gibt vielleicht auch einen Anteil, der sagt: 'Ich habe Angst. Was ist, wenn ich das nicht schaffe und sterbe?'.

Wenn diese Angst aber Familienangehörigen gegenüber geäußert wird, dann kommt als Antwort oft eine Abwehrreaktion: 'Mensch, so darfst du jetzt nicht denken, du musst jetzt stark sein!'. Der Familienangehörige tut das in bester Absicht, um denjenigen zu schützen. Andere Patienten möchten ihre Angehörigen nicht mit dem belasten, was sie grade so quält. Ich biete meinen Patienten eben diesen Ort, wo Angst und Wut geäußert werden können und alles Platz hat, was einen gerade bewegt.

KNA: Wie können nahestehende Menschen Tumorerkrankte am besten begleiten?

Marx: Das Wichtigste ist: Zuhören, Dasein und spüren, was das Gegenüber gerade braucht. Es gibt kranke Menschen, die wollen gerne umsorgt werden und dass man ihnen etwas abnimmt. Dann ist es schön, wenn man ihnen mal Blumen vorbeibringt oder einen Einkauf übernimmt. Andere möchten die Rolle des Erkrankten nicht auch noch im Privaten haben, sondern wollen ein ganz normales Leben führen. Ihnen hilft es, Alltagsdinge zu unternehmen oder eine ganz normale Unterhaltung zu führen. Beide Seiten sollten gut miteinander aushandeln, was gerade stimmig ist für den Patienten.

Ambra Marx, ärztliche Leiterin der Psychoonkologie am Bonner Universitätsklinikum

"Einige Studien belegen, dass Patienten, die positiv gestimmt gegen ihre Krankheit ankämpfen, ihre Krebserkrankung besser meistern. Das hat sich jedoch nicht durchgängig gezeigt."

KNA: Das Reden über Krebs scheint immer noch ein Tabu zu sein. Wie kommt das?

Marx: Absolut. Wir bekommen das immer wieder mit. Manche Patienten berichten, dass sie durch die Diagnose schlagartig einsam sind, weil sich manche Menschen gar nicht mehr bei ihnen melden. Ich denke, da wirken unterschiedliche Mechanismen, bislang gibt es darauf keine wissenschaftliche Antwort.

Krebs ist wohl so alt wie die Menschheit selber, vor rund 4.000 Jahren ist die Krebserkrankung das erste Mal beschrieben worden. Aber behandeln können wir sie erst seit einem halben Jahrhundert. Die meiste Zeit unserer Kulturgeschichte war Krebs also ein schlimmes Todesurteil. Schon im Wort "Krebs" steckt ganz viel mythisches Unbehagen. Damit erinnert die Krebserkrankung eines engen Freundes oder eines Familienangehörigen natürlich auch daran, dass es auch einen selbst treffen könnte. Viele möchten einfach nicht an ihre eigene Sterblichkeit erinnert werden, deshalb meiden sie den Kontakt.

KNA: Ist das Umfeld nicht manchmal auch schlicht unsicher, wie es sich verhalten soll?

Marx: Das stimmt. Viele Angehörige sagen, sie wissen gar nicht, wie sie mit dem Kranken umgehen und was sie sagen sollen. Dabei muss man gar nichts sagen - was soll man auch sagen? Aber man kann da sein und zuhören. In manchen Situationen kann man nichts tun, nur gemeinsam aushalten. Und das ist schon total viel.

KNA: Hat sich Ihre Arbeit durch Corona verändert?

Marx: Ja, absolut! Corona ist fürchterlich. Einerseits sind die Besuchsmöglichkeiten im Krankenhaus durch die Pandemie sehr limitiert. Unter dieser fehlenden psychosozialen Unterstützung leiden viele Patient*innen sehr.

Andererseits betrifft das, was wir pandemiebedingt erleben, Krebspatienten besonders: Es gibt ja kaum noch Möglichkeiten, die mentalen Energiespeicher aufzuladen. So ist das Sozialleben von Krebspatient*innen deutlich beschnitten. Sie haben ein schlechtes Immunsystem. Die Covid-Impfung wirkt bei ihnen nicht zuverlässig, also müssen sie ihre Sozialkontakte sehr beschränken.

Normalerweise schaue ich mit den mir anvertrauten Menschen auf den Teil von ihnen, der nicht krank ist - der einen Theaterbesuch genießen kann oder ausgelassene Treffen mit Freunden. Nun sind meinen Patienten viele jener Mechanismen genommen, die sie sonst genutzt hätten, um besser durch die schwere Zeit zu kommen.

Quelle:
KNA