Missbrauch von Bonhoeffer-Text durch Impfgegner

"Das macht mir Angst"

Impfgegner singen einen Text des von den Nazis ermordeten evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. Den Text schrieb er im Gefängnis. Für Bonhoeffers Großneffen ist dieser Gesang schwer zu ertragen.

Proteste gegen die Corona-Maßnahmen / © Malte Krudewig (dpa)
Proteste gegen die Corona-Maßnahmen / © Malte Krudewig ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Corona-Maßnahmen-Gegner versammeln sich und singen dieses Lied, das auf ihren Großonkel zurückgeht. Wie geht es Ihnen damit?

Mathias Bonhoeffer (Evangelischer Pfarrer, Großneffe von Dietrich Bonhoeffer): Nicht so richtig gut. Ich habe davon erst vor Kurzem erfahren - nicht zuletzt durch DOMRADIO.DE, das mich angefragt hat. Das beschäftigt mich schon, inwieweit Menschen diesen Text, dieses Lied versuchen für sich zu instrumentalisieren, das an einer ganz anderen Stelle und in einem ganz anderen Zusammenhang entstanden ist.

DOMRADIO.DE: Für die Menschen jetzt bei den Versammlungen scheint das passend zu sein.

Bonhoeffer: Das scheint so. Die Menschen scheinen sich in diesem Lied wohl zu fühlen, sonst würden sie es nicht nehmen. Das ist aber erschreckend, wie etwas aus dem Zusammenhang herausgerissen wird und wie diese Szene Widerstandstraditionen besetzt und instrumentalisiert. Das macht mir Angst.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass den Menschen bewusst ist, wie dieses Lied und der Text dazu entstanden ist?

Dietrich Bonhoeffer - "Von guten Mächten"

"Von guten Mächten" war der letzte Text, den Dietrich Bonhoeffer vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten noch schreiben konnte. Nach diesem Gedicht folgen um den Jahreswechsel 1944/45 noch zwei kurze Briefe an Angehörige, danach nichts mehr. Am 9. April 1945, einen Monat vor Kriegsende, wird Bonhoeffer im KZ Flossenbürg hingerichtet.

Dietrich Bonhoeffer (epd)
Dietrich Bonhoeffer / ( epd )

Bonhoeffer: Nein, ich glaube nicht, dass die Menschen diesen Brief kennen, den Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße im Dezember 1944 mit diesem

Gedicht zusammen an und für seine Verlobte Maria von Wedemeyer geschrieben hat. Teilweise hat er gegen seine eigenen Empfindungen angeschrieben, bat selber um diese Mächte, die ihn behüten. In dem Gedicht bat er darum, mit der Familie wieder zusammengeführt zu werden. Gleichzeitig sah er aber auch sehr deutlich, dass das nicht gehen würde und er den bitteren Kelch zu trinken haben werde. Am 9. April 1945 wurde er hingerichtet.

DOMRADIO.DE: Als die DOMRADIO.DE-Redaktion Ihnen erzählt hat, dass Impfgegner "Von guten Mächten" singen, waren sie nicht sonderlich überrascht. Wird Dietrich Bonhoeffer noch anderweitig missbraucht?

Bonhoeffer: Genau, es wird auf ihn zurückgegriffen, Sätze herausgenommen, sie werden auf Gummi geschnitten und auf Postkarten gestempelt. Dann steht ein Name darunter. "Dem Rad in die Speichen greifen" ist so ein Satz, der herausgenommen wird. Ja natürlich, "dem Rad in die Speichen greifen" kann man überall benutzen. Es macht natürlich Sinn, "einem Rad in die Speichen zu greifen", wenn man es aufhalten möchte.

Aber wie gesagt, wir leben in einer freien demokratischen Grundordnung. Wir leben nicht in einer Merkel- oder Scholz-Diktatur, sondern in einem freien Land. Sie dürfen das tun, was sie da tun. Ich muss das nicht gut finden, das darf ich auch.

DOMRADIO.DE: Wenn Zitate von Menschen zweckentfremdet oder Lieder missbräuchlich eingesetzt werden, können Sie sich als Angehörige der Familie Bonhoeffer dagegen wehren?

Bonhoeffer: Das weiß ich nicht und das ist zu klären. Da muss man genauer hingucken, in welchem Zusammenhang Zitate oder das Lied benutzt werden und welche Möglichkeiten gibt es. Dietrich Bonhoeffer ist jetzt über 75 Jahre tot, insofern ist der Text erst einmal Allgemeingut. Aber inwieweit er benutzt oder verfremdet werden darf, das weiß ich nicht. Zum Beispiel haben die Brecht-Erben ein sehr schnelles und sehr starkes Durchgreifen-Instrumentarium, wenn es um Brecht-Stücke und Inszenierungen geht. Wir gucken. Schauen wir mal.

Dietrich Bonhoeffer / © Gütersloher Verlagshaus (epd)
Dietrich Bonhoeffer / © Gütersloher Verlagshaus ( epd )

DOMRADIO.DE: Würden Sie den Menschen, die als Impfgegner das Lied ihres Großonkels singen, gerne mal erklären, wie das Lied entstanden ist?

Bonhoeffer: Ja und nein. Ich wäre bereit, mit diesen Menschen mal bei einer Tasse Kaffee darüber zu reden. Ich würde das nicht auf der Demonstration machen. Ich glaube nicht, dass das der richtige Rahmen ist. Sie haben ihre Message, die sie hinaussenden wollen. Da würde ich, glaube ich, nur stören.

DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Erfahrungen mit Impfgegnern gemacht?

Bonhoeffer: Zum Beispiel werde ich angeschrieben, beschimpft und es wird behauptet, dass wir beim Heiligabendgottesdienst Menschen nicht in die Kirche gelassen hätten. Wir haben die 2G-Regel und haben trotzdem alle Menschen in die Kirche gelassen. Solche Behauptungen kann ich so nicht stehen lassen, weil ich war dabei und ich weiß, dass wir niemanden zurückgeschickt haben. Aber es wird einfach in die Welt gesetzt und das ist etwas, was hier an verschiedenen Stellen immer wieder gemacht wird.

DOMRADIO.DE: Sie haben zum Erkennen von Antisemitismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit eine 3D-Erkennungsregel-Methode in einer Predigt mal aufgelistet. Was ist das?

Bonhoeffer: Das ist eine etwas ältere These, in der es darum geht: Wie erkenne ich Antisemitismus? Das ist einmal das Delegitimieren von Dingen, das Dämonisieren und doppelten Standard anlegen, also das, was ich bei dem einen bemängele, das bemängele ich bei dem anderen nicht.

Dämonisieren ist klar, Menschen werden erniedrigt und entmenschlicht. Delegitimieren heißt: Du hast kein Recht. Wenn man dann Formulierungen durch diesen Filter laufen lässt, dann entdeckt man leicht Antisemitismus oder Rassismus. Es müssen nicht alle drei Kriterien erfüllt sein, eins reicht eigentlich schon aus, bei zweien können Sie sicher sein, dass es sich um Antisemitismus oder Rassismus handelt.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR