DOMRADIO.DE: Das Berlin Institut hat gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung erforscht, wie religiöse Organisationen in Westafrika Gläubige positiv beeinflussen können. Welche positive Beeinflussung könnte das denn sein? Bei welchen Themen zum Beispiel?
Catherina Hinz (Geschäftsführende Direktorin vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung): Das beginnt bei der Geschlechtergerechtigkeit, also beim Frauen- und Männerbild, vor allem bei der Selbstbestimmung der Frau. Dann geht es weiter zur Bildung. Besonders die Bildung von Mädchen ist ein wichtiges Thema, bei dem eine positive Beeinflussung stattfinden kann.
Weitere Themen sind Kinderzahlen und Familienplanung, aber auch Jugendliche und ihre Bedürfnisse, gerade in Sachen Sexualität. Sie machen ja in vielen Ländern auch vor der Ehe Erfahrungen im Bereich Sexualität. Das sind alles wichtige Themen, die die Geburtenraten beeinflussen und einen soziodemografischen Wandel beeinflussen können.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan hat eher eine restriktive Haltung beim Thema Verhütung und Familienplanung. Ist das bei Priestern in Afrika anders?
Hinz: Wir haben uns nicht nur die katholische Kirche angeguckt, sondern verschiedene Religionsformen oder religiöse Strömungen. Allgemein lässt sich sagen: Es sind natürlich Priester und Imame in ihren Gemeinden vor Ort, auch in Westafrika, die Probleme und die Realitäten ihrer Gemeindemitglieder sehen. Sie wissen um Armut, Arbeitslosigkeit, aber auch ungewollte Schwangerschaften, insbesondere bei Teenagern in ihren Gemeinden.
Und da versuchen sie, Wege zu finden, um für ihre Gläubigen den Glauben und die Lebensrealitäten in Einklang zu bringen. In diesem Bereich sind bereits religiöse Initiativen und Verbände aktiv. Sie bieten zum Beispiel alternative Lesarten von Bibel und Koran an oder sie entkräften Annahmen wie, dass Familienplanung und Islam nicht vereinbar sind. Oder sie stellen Rollenbilder in der Familie infrage und setzen sich für Mädchenbildung und Familienplanung ein.
DOMRADIO.DE: Passiert das bei einem Gespräch oder wie kommen die Menschen aufeinander zu?
Hinz: Das kann ganz unterschiedlich vonstatten gehen. Es gibt einige Organisationen, die gezielt Generationen-Dialoge anbieten. Sie bringen Eltern und Jugendliche zusammen. Die Jugendlichen können dann erklären, welche Bedürfnisse sie konkret haben, auch in Bezug auf Aufklärung oder Gesundheitsdienste.
Wir dürfen nicht vergessen, dass in vielen afrikanischen Ländern zwischen 30 und 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen, aber auch der Schulen, von religiösen Organisationen oder Kirchen geführt werden. Und da ist es eben sehr wichtig, dass gerade auch bei der Gesundheitsaufklärung ein Angebot vorhanden ist, das die Bedürfnisse von Jugendlichen trifft, wo Jugendliche sich im besten Fall auch selber einbringen können und wo sogar getestet wird, wie die Gesundheitseinrichtungen in ihren Gemeinden auf Jugendliche eingehen.
Es könnte auch anders vonstattengehen: Dass man zum Beispiel alternative oder fortschrittliche Lesarten für Textstellen aus der Bibel oder dem Koran anbietet und sich Gläubige, Priester oder auch Priesterinnen so mit dem auseinandersetzen, was Bibel oder Koran vorgeben. Auch so kann man den Gläubigen vermitteln, dass Familienplanung sehr wohl mit ihrem Glauben vereinbar ist.
Das Interview führte Michelle Olion.