"Öffentlich um Frieden beten und im Verborgenen moderieren und Hilfe organisieren" - so lautet, grob formuliert, die diplomatische Praxis des Heiligen Stuhls, nicht nur unter Franziskus. Für dessen Pontifikat formuliert hat sie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin 2015 bei einer Vorlesung an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Es gelte vor allem, den Eindruck zu vermeiden, der Papst stelle sich vorschnell auf eine Seite der beteiligten Konfliktparteien. Das trifft auch beim Krieg in der Ukraine zu.
Bemühen um Vermittlung
Bei einem Kirchenoberhaupt wie Franziskus, der immer wieder gegen einen "Dritten Weltkrieg in Stücken" wettert, kann dabei der Eindruck von Leisetreterei oder falscher Neutralität entstehen. "Nein - einer muss die Kanäle des Gesprächs offenhalten", betont indes der Leiter des Osteuropa-Solidaritätswerks Renovabis, Thomas Schwartz. Jetzt, wo sich viele Politiker, die zuvor leise gewesen seien, lautstark äußerten, brauche es stille Kanäle, über die vermittelnde Kontakte laufen könnten.
Die Chancen dafür stehen umso besser, seit sich das ökumenische Verhältnis zwischen Rom und Moskau seit Benedikt XVI. gebessert hat. Metropolit Hilarion, quasi Außenminister des Moskauer Patriarchats, war in den vergangenen Jahren häufiger zu Gast im Vatikan.
Gespräch mit dem Botschafter
Andererseits: Der russisch-orthodoxe Patriarch ist derzeit vor allem ein Gottesmann von Wladimir Putins Gnaden. So hat Kyrill bisher zwar mit allgemeinen Worten das "Unglück" in der Ukraine bedauert, aber weder von "Angriff" oder "Krieg" gesprochen. Wie aufrichtig oder nachhaltig kann unter solchen Bedingungen ein ökumenischer Dialog sein?
Mit seinem Besuch beim russischen Botschafter am Freitag hat Franziskus einen außergewöhnlichen Schritt getan. Ein Staatsoberhaupt würde (quasi) nie zu einem Botschafter gehen - so lautet das Protokoll. Während andernorts Moskaus Diplomaten von Außenministern einbestellt werden, begibt der Souverän des Heiligen Stuhls sich persönlich zum Vertreter des Aggressors.
Doch Franziskus' Versuch, beim russischen Botschafter Gesprächskanäle offenzuhalten, war auch eine Demutsgeste. Nicht überall kam sie gut an. Erneut unkten Beobachter, Franziskus sei auf dem "linken Auge" - wenn man das mit Blick auf den UdSSR-Nachfolger Russland so sagen will - blind. Fehlern des Westens gegenüber finde der Argentinier deutliche Worte, bei Moskau, Peking und einigen linken Südamerikanern äußere er sich - wenn überhaupt - verhaltener.
Es mag daran liegen, dass Jorge Bergoglio unter der rechten Militärjunta in seinem Heimatland leiden musste. Der Pole Karol Wojtyla hingegen hatte Jahrzehnte unter einer linken Diktatur gelitten und reagierte daher auf der Seite allergischer. Insgesamt aber setzte Johannes Paul II. Maßstäbe, an denen nun auch Franziskus gemessen wird.
Päpstliche Dialoggesten und Unterstützung
So waren nach seinem Treffen mit Patriarch Kyrill 2016 auf Kuba die Katholiken in der Ukraine enttäuscht über anschließende Äußerungen. Zudem hatten sie lange auf einen Besuch des Papstes in ihrer bedrohten Heimat gehofft - und erwarten jetzt deutlicher Solidarität. Die Erklärung von Kardinalstaatssekretär Parolin am ersten Kriegstag war noch recht verhalten formuliert. Ross und Reiter nannten weder er noch der Papst am Sonntag beim Angelus. Immerhin wurde später bekannt, dass Franziskus mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonierte.
Die päpstlichen Dialoggesten - Telefonat und Botschaftsbesuch - verstärkte die Nummer 2 des Vatikan zu Wochenanfang mit einem konzertierten Interview in vier italienischen Zeitungen. Der Heilige Stuhl sei bereit, Russland und die Ukraine bei ihrem Dialog zu unterstützen, so Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. "Wir müssen jede Eskalation vermeiden, den Krieg beenden und verhandeln." Der vatikanische Top-Diplomat erneuerte seine Überzeugung, dass es immer noch und immer wieder Verhandlungsspielraum gebe. Zugleich äußerte sich Parolin sehr besorgt. Eine Ausweitung des Konflikts in Europa "wäre eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes, auch wenn sie leider nicht völlig ausgeschlossen werden kann".
Der Heilige Stuhl ist fast immer willens und bereit zu vermitteln. Es ist das Einzige, was er kann. Bisher gibt es das vorsichtig formulierte Angebot, einen "Dialog zu unterstützen". Dialogbereit müssen jedoch zunächst die Konfliktparteien sein. Mit Blick auf die russische Führung unter Putin sind einstweilen noch Zweifel angebracht. Auch wenn Franziskus stets trotzig fordert: Man muss mit jedem Dialog führen.