DOMRADIO.DE: Wie können wir mit diesem Gefühl umgehen, das viele einholt, diese Mischung aus Sorgen, Angst und Spannung?
Ursula Dannhäuser (Diplom-Psychologin und Leiterin der Katholischen Ehe-, Familien und Lebensberatung in Bonn): Ich glaube, das erste ist, dass es völlig in Ordnung ist, dass es diese Angst gibt. Angst ist ein ganz wichtiges Grundgefühl, das uns vor Gefahren warnt. Es ist erst einmal sinnvoll, dass diese Angst da ist und sie ist in dieser Situation sehr verständlich. Also kann man sich selber schon mal sagen, die Angst darf auch sein, das ist in Ordnung.
Das zweite ist natürlich, dass wir eine Idee finden müssen, wie wir mit den Ängsten, die ganz unterschiedlich stark sein können, umgehen können. Ob ich noch nie etwas mit dem Krieg zu tun hatte und von daher erst einmal diese Bedrohungslage wahrnehme. Ob es eigene Erfahrungen von Krieg, Flucht und Gewalt gibt oder andere Erfahrungen im Leben, die Angst ausgelöst haben. Das ist auch ein Unterschied im Umgang mit der Angst. Wichtig ist, dass wir dosieren, wie viel von dem, was gerade geschieht, wir tagtäglich in unser Leben lassen. Wir müssen uns orientieren und es ist wichtig, auch bei Angst eine Idee zu bekommen, was los ist und was man machen kann. Aber wir sind ja im Moment in so einer Dauerschleife von Informationen und insbesondere die Bilder prägen sich sehr in uns ein. Wir haben so ein Alarmzentrum im Kopf, das anspringt auf Gefahr, und Bilder führen schnell dazu, dass wir das Gefühl haben, mittendrin zu sein.
DOMRADIO.DE: Die sozialen Medien lassen uns ganz nah an dem Geschehen dran sein und das macht mit uns wahrscheinlich sehr viel.
Dannhäuser: Das ist ja letztendlich auch total sinnvoll, dass wir gut informiert sind. Wir haben inzwischen einfach die Möglichkeit 24 Stunden diese Bilder anzugucken und das ist nicht gut. Es ist wirklich eher wichtig zu sagen: Ich gucke ein, zwei, dreimal am Tag Nachrichten. Ich schalte auch mal um auf Radio oder auf Printmedien, dass ich nicht immer sofort mit diesen Bildern konfrontiert bin. Dabei geht es darum, dass man sich darum sorgt, wie viel Bilder man sich zumutet, was die Angst anspricht.
DOMRADIO.DE: Das ist einerseits ja so, dass man das je nachdem selber dosieren kann. Wenn ich dann natürlich an die etwas Jüngeren denke, die da viel an ihrem Handy sind, Kinder oder Jugendliche, bei denen ploppt das dann auf und sie sehen da teilweise Dinge, die sie nicht sehen sollten. Also das heißt, inwiefern kann man sich davor schützen, nicht zu viel von diesen Bildern zu sehen und mitzubekommen?
Dannhäuser: Das ist wichtig mit den Kindern und Jugendlichen darüber zu sprechen und ihnen das auch zu erklären, dass dieser ständige Konsum dieser Bilder eingeschränkt wird. Es ist ja auch gut, dass Kinder und Jugendliche sich interessieren. Aber ihnen dabei zu helfen, das zu dosieren und auch zu erklären, warum es solche Auswirkungen für einen selber hat, obwohl wir ja im Moment Gott sei Dank in Sicherheit sind, fühlt es sich trotzdem sehr nahe an und der Körper reagiert manchmal mit Herzrasen oder Angstattacken. Und das zu erklären, warum das passiert, das glaube ich, ist für Kinder und Jugendliche sehr hilfreich, damit sie auch lernen, vorsichtig damit umzugehen.
DOMRADIO.DE: Aktiv sein, Hilfe organisieren: ist das auch etwas, was helfen kann, mit der Situation klarzukommen, weil man eine Aufgabe hat und anderen Menschen helfen kann?
Dannhäuser: Angst ist ja häufig kombiniert mit dem Erleben von Ohnmacht. Ich kann nichts tun und das erhöht den Angstpegel. Deswegen ist es sehr sinnvoll zu überlegen, wo kann ich hilfreich sein. Ob es eben über Spenden oder über Aktionen, die geplant sind in der Nachbarschaft. Man sollte aber auch nicht in so eine blinde Hilfe gehen, sondern sich gut orientieren und fragen, wie kann ich da wirklich unterstützen? Das ist sicher wichtig. Aber neben der Hilfe ist es auch wichtig zu gucken, worauf habe ich im Moment Einfluss? Was vielleicht jetzt gar nicht mit dem Kriegsgeschehen und der Not zu tun hat, sondern was kann ich im Hier und Jetzt, in meinem Leben, im Moment gut gestalten und machen? Auch das ist wichtig, um aus der Ohnmacht rauszukommen.
DOMRADIO.DE: Wie können wir Menschen helfen, die durch die aktuelle Berichterstattung an eigene Erlebnisse erinnert werden, denn die sind vermutlich noch viel mehr dran mit ihren Emotionen, mit ihren Gefühlen an diesem Geschehen.
Dannhäuser: Das Wichtigste ist zu sprechen, einzuladen, davon zu erzählen. Wir als Beratungsstelle machen da auch das Angebot, gerade für Menschen, die im Moment noch mal sehr an alte Erfahrungen anknüpfen, die wieder erleben, wie schlimm das Damalige war, dass sie zu uns in die Beratungsstelle kommen können, dass wir mit ihnen sprechen und da sehr tröstlich mit sich umzugehen, also ein Mitgefühl mit sich selber zu haben und zu sagen: Ja klar, dass ich diese Gefühle jetzt kriege. Und das war aber damals ganz, ganz schlimm. Aber im Moment bin ich in Sicherheit und ich suche auch mal die Ablenkung. Ich gucke auf das Schöne oder ich hole mir, wenn das irgendwie sehr stark zunimmt, auch professionelle Hilfe.
DOMRADIO.DE: Die Angst wegdrücken bringt nichts?
Dannhäuser: Die Angst wegdrücken bringt nichts, aber sich abzulenken ist sehr legitim, Pausen zu machen. Wir haben das Geschenk des wunderbaren Wetters zurzeit, rauszugehen, in die Natur zu gehen, sich zu bewegen. Angst ist immer auch körperlich. Das heißt, man erlebt Spannung und dafür ist es gut, auch dem Körper etwas Gutes zu gönnen, diese Spannung abzubauen. Ablenkung ist sehr legitim.
Das Interview führte Dagmar Peters.