An einen solchen Ansturm können sich auch regelmäßige Gottesdienstbesucher kaum erinnern. Die Kirchenbänke der ukrainisch-orthodoxen Sankt-Wladimir-Kathedrale in Parma, Ohio, reichten nicht aus; im Mittelschiff und an den Seiten drängten sich die Besucher.
Nur wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs kamen nicht nur US-Ukrainer; Katholiken, Protestanten, Juden und sogar Nichtgläubige füllten die Kirche bis auf den letzten Stehplatz.
Solidarität zeigen
So wie in Parma strömen seit 24. Februar Angehörige vieler Religionsgemeinschaften in ukrainische US-Kirchen von Los Angeles bis New York, um ihre Solidarität mit dem angegriffenen Land zu zeigen.
"Es berührt einfach die Herzen im ganzen Land", fasst Lee Shapiro vom American Jewish Committee in Cleveland die Gefühlslage vieler Bürger zusammen. Und auch US-Religionsführer reagieren. Mehr als 100 christliche Führungspersönlichkeiten appellierten an das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., seinen Einfluss geltend zu machen, um die Invasion zu stoppen.
Es gebe keine "ethische, religiöse oder theologische Rechtfertigung für den Einmarsch der Russen", erklärte der Leiter des Glaubenszentrums der Georgetown University, Jim Wallis. Er ist ebenso Mitunterzeichner des Briefes an Kyrill I. wie Carol Zinn, Präsidentin der Leadership Conference of Women Religion, und Schwester Donna Markham, Präsidentin von Catholic Charities USA.
Druck auf den Moskauer Patriarchen machten auch die Teilnehmer einer interreligiösen Solidaritätsveranstaltung in der ukrainisch-orthodoxen Wolodymyr-Kathedrale in der Upper West Side in New York vergangene Woche. Jüdische, griechisch-orthodoxe und katholische Geistliche prangerten in der heimlichen Hauptstadt der US-Orthodoxie die Invasion Russlands an.
Tätige Hilfe für die Ukraine
Der Putin-Vertraute Kyrill I. hatte zuvor unmissverständlich Russlands Einmarsch gerechtfertigt, die Gegner Russlands als "böse Mächte" bezeichnet. Der Konflikt zwischen den orthodoxen Brüdern sei Teil eines größeren Kampfes gegen die Sünde und den Druck westlicher Nationen, "Schwulenparaden" abzuhalten.
Allein unter konservativen weißen US-Evangelikalen gab es anfangs Sympathien für Putin, bevor auch die in Erklärungsnot gerieten. In der Trump-Ära bewunderten viele dessen Ansichten über Homosexualität und seinen autoritären Führungsstil. Viele sahen in Putins toxischer Mischung aus Nationalismus und Pseudo-Religion eine Blaupause für die USA.
Zu den ersten, die unter den US-Glaubensgemeinschaften zu tätiger Hilfe für die Ukraine schritten, gehörten jüdische Organisationen.
Das liegt auch daran, dass Hunderttausende US-Juden die Geschichte ihrer Vorfahren in der Ukraine zurückverfolgen können. "In gewisser Weise fühlt sich das persönlicher an als andere Krisen in der Welt", beschreibt Rabbi Joel Mosbacher von der New Yorker Reformgemeinde Shaaray Tefila seine Gefühle.
Vor einigen Tagen starteten 19 Rabbiner aus New York Richtung Warschau, um ukrainischen Flüchtlingen an der polnischen Grenze zu helfen. Der Dachverband Jewish Federations of North America hatte bis Ende vergangener Woche schon rund 25 Millionen US-Dollar Hilfsgelder gesammelt.
Keine jüdische US-Organisation ist aktiver als "Chabad Lubawitsch" des legendären Rabbiners Menachem Mendel Schneerson, der 1941 aus der Ukraine einwanderte. Das ukrainische Netzwerk von Chabad arbeitet mit Hochdruck daran, die Juden des Landes - deren Zahl auf bis zu 200.000 geschätzt wird - zu evakuieren. Das Problem: "Wie helfen wir jenen zu überleben, die bleiben wollen?", fasst Rabbi Motti Seligson, der Sprecher von Chabad, das Dilemma zusammen.
Bemerkenswert bleibt aber auch der konfessionsübergreifende Schulterschluss. Emily Belz, Mitarbeiterin von Christianity Today, hatte sich spontan entschlossen, an einer Gebetswache in einer ukrainischen Kapelle in "Little Ukraine" im East Village von New York teilzunehmen. "Als ich hereinkam, dachte ich, ich sei am falschen Ort". In den hinteren Reihen des Gotteshauses sah sie sich umringt von mehr als 30 Koreanern.