"Jesus vor Pilatus" ist die Szene, die am Samstagnachmittag in den Kasten muss. Die Bühne des Passionstheaters in Oberammergau hat sich in ein überdimensionales Fotostudio verwandelt.
Große Tücher und Tafeln, die das starke Licht der vielen Scheinwerfer dämpfen sollen, sind rundum drapiert. Dick eingemummt in Mantel, Wolltuch und Maske ist die isländische Fotografin Birgit Gudjonsdottir am Werk, mit ihrem Team das optimale Foto für den Bildband der Passionsspiele 2022 einzufangen.
Zum technischen Equipment gehört auch ein großer Bildschirm, auf den die sonst für Film und Fernsehen arbeitende Kamerafrau das Motiv genau im Blick hat. An ihrer Seite hat sich Spielleiter Christian Stückl auf einem hohen Drehstuhl niedergelassen.
Wirklich sitzen tut er nicht. Immer wieder steht er auf, gibt seinen geduldig ausharrenden Darstellern Anweisungen: Einmal muss einer von den acht römischen Soldaten mit Lanze im Hintergrund noch einen Schritt zurückgehen und auf die hinter ihm liegende Stufe steigen. Dann sollen die Mitglieder des Hohen Rats mit ihren wallenden Haaren und Bärten etwas enger zusammenkommen.
Jesus mit Dornenkrone
Auf dem Podium inmitten der Bühne steht derweil Carsten Lück im schwarzen Mantel samt gleichfarbigen Lederhandschuhen. Als Pilatus hat er mal seine Hände hinter dem Rücken, um so mit einer möglichst aufrechten Haltung seine Macht zu demonstrieren.
Dann wieder zeigt er mit der rechten Hand auf den vor ihm liegenden Jesus mit Dornenkrone und rotem Umhang. Herablassend spricht er die Worte: "Seht diesen König! Mit diesem seid ihr Spott und Hohn unter allen Völkern."
Nur leicht bekleidet hält Rochus Rückel als Jesus schon seit gut einer Stunde das Martyrium durch - bei 6 Grad Celsius. Doch Stückl ist nicht zufrieden. Wie er vor Pilatus liegt, wie er die eine Hand nach vorne Richtung Kamera ausstrecken soll, gefällt ihm nicht. Mit dunkler Jeans und warmer Jacke sowie widerspenstig umherfliegendem grauen Haar zeigt der Chef seinem Hauptdarsteller wie er sich die richtige Haltung vorstellt. Obwohl nach leichtem Herzinfarkt Ende Februar erst aus dem Krankenhaus entlassen, legt sich der Regisseur auf den Boden. Schon ist er mitten im Leiden Jesu. Beim Blick in sein Gesicht könnte einem angst und bange werden.
Zwischendurch ist die Maskenbildnerin gefragt. Mit Pinsel und einer Schüssel rückt sie an. Darin das berühmte Theaterblut, das sich über Gesicht und Körper von Rochus ergießt. Während der Hauptdarsteller stillhalten muss, damit die perfekte Illusion gewahrt bleibt, dreht im Hintergrund einer der Mitarbeiter der Fotografin an seiner Thermoskanne. Für einen Schluck heißen Tee muss zwischendurch Zeit sein. Bei einem der höheren römischen Soldaten läuft derweil die Nase. Wie gut, dass sich die hohen Militärstiefel als Depot für ein stets griffbereites Papiertaschentuch eignen.
Proben laufen parallel
Noch bis 27. März wird täglich nach Plan eine Szene nach der anderen eingefangen. Parallel laufen die Proben. Bühnenbildner Stefan Hageneier und seine Leute sind bei den Aufnahmen dabei. Alles wird so arrangiert, wie es die Zuschauer später erleben sollen, wenn sich am 14. Mai der Vorhang zur Premiere hebt. Bis 2. Oktober sind 103 Vorführungen geplant. Die Schlange aus dem Paradies und das Goldene Kalb sind im hinteren Teil der Bühne schon verstaut. Mittels eines Aufzugs könnten sie von oben herab sofort für die lebendigen Bilder aus dem Alten Testament eingesetzt werden.
Doch jetzt muss Barabbas ran. Jener Verbrecher, der anstelle von Jesus von Pilatus auf Wunsch des Volkes freigelassen wird. Matthias Feldmeier hat lange sein Fleece anbehalten, nun muss er es ablegen.
"Stopp", ruft die Fotografin. Für einen, der aus dem Kerker kommt, schaut der Mann einfach zu gesund aus. Braungebranntes Gesicht vom Skifahren, dazu sein weißer, nackter Oberkörper - das geht gar nicht.
Also Puder her und schwarze Farbe, damit der Übeltäter wirklich schmutzig und malträtiert aussieht - für das perfekte Bild.