Tafeln rufen zu mehr Unterstützung auf

"Bitte spendet haltbare Lebensmittel"

Immer mehr Menschen in Deutschland brauchen wegen steigender Energie- und Lebensmittelpreise oder weil sie etwa aus der Ukraine geflüchtet sind die Hilfe der Tafeln. Diese schlagen jetzt Alarm und fordern mehr Unterstützung.

 Einkaufstrolleys vor der Essensausgabe einer Tafel / © Harald Oppitz (KNA)
Einkaufstrolleys vor der Essensausgabe einer Tafel / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Können Sie ungefähr beziffern, wie viel mehr Menschen Sie jetzt mit Lebensmitteln versorgen müssen? 

Jochen Brühl (Vorsitzender der Tafel Deutschland): Das können wir gerade nicht genau beziffern, weil wir aus den Tafeln keine Zahlen bekommen. Wir bekommen nur die Rückmeldung, dass es ein erheblicher Zuwachs ist, gerade durch die steigende Inflation - Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Sprit und Energie. Natürlich spielen auch die Menschen eine Rolle, die jetzt aus Fluchtgründen nach Deutschland kommen.

Menschen, die in Not sind, werden bei den Tafeln unterstützt. Das ist unsere Devise. Das soll auch so bleiben. Aber deshalb brauchen wir auch Hilfe und Unterstützung, 

Jochen Brühl

"Menschen, die in Not sind, werden bei den Tafeln unterstützt. Das ist unsere Devise. Und das soll auch so bleiben."

DOMRADIO.DE: Wie sieht es auf der anderen Seite mit der Spendenbereitschaft aus. 

Brühl: Es ist jetzt durch den Krieg schon so - etwa bei Sonnenblumenöl oder Mehl -, dass man den Eindruck hat, dass Leute jetzt wieder hamstern. Ähnlich wie am Anfang der Corona-Krise bei Toilettenpapier. Das ist natürlich Quatsch.

Es ist wichtig, dass Dinge weiter in den Läden sind und dass wir auch ganz klar an Privatpersonen und Unternehmen appellieren: Bitte spendet haltbare Lebensmittel an die Tafeln. Denn wir haben jetzt einen erheblichen Zuwachs, dass Menschen zu uns kommen, die von den Kostensteigerungen betroffen sind, aber gleichzeitig auch Flüchtlinge, die in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Bayern oder auch in Hessen ankommen, die jetzt diese Hilfe brauchen. Deshalb wollen wir helfen.

Deshalb müssen die Helfenden auch in die Lage versetzt werden, zu helfen. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Tafeln wieder mehr Spenden bekommen, gerade im Lebensmittelbereich. 

Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel / © Oliver Mehlis (dpa)
Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel / © Oliver Mehlis ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was kann denn jeder Einzelne dafür tun, damit die Tafeln mehr Spenden bekommen? 

Brühl: Einerseits haltbare Lebensmittel kaufen und an die Tafeln spenden. Auch Geldspenden sind möglich. Man muss ja sagen, dass die steigenden Energiepreise auch die Helfenden trifft - also auch die Tafeln - was Dieselkosten und Stromkosten betrifft.

Ich habe heute mit einer Tafel im Osten Deutschlands gesprochen, die rechnet mit einem Zuwachs von Energiekosten von 30.000 Euro für dieses Jahr.

Die dritte Möglichkeit ist, bei der Tafel anzurufen und zu fragen: Kann ich euch ehrenamtlich unterstützen? Weil natürlich durch Corona immer wieder Menschen, die zu den Risikogruppen gehören, sagen: Mir ist das immer noch zu unsicher. Da fehlen also auch immer wieder Helferinnen und Helfer. 

DOMRADIO.DE: Die Tafeln sind ursprünglich so eine Art Notfall-Lösung gewesen, aber es gibt so viele Menschen, die inzwischen dauerhaft auf die Tafeln angewiesen sind. Sehen Sie das Signal aus den Reihen der neuen Regierung, dass auch die Rahmenbedingungen geändert werden, um Armut dauerhaft zu bekämpfen? 

Jochen Brühl

"Wir werden weiter ein Stachel im Fleisch bleiben."

Brühl: Wir sind da in Gesprächen und wir werden weiter ein Stachel im Fleisch bleiben, weil wir sagen: Vieles ist angedacht, aber nicht umgesetzt. Da muss was passieren. Unser Credo ist, dass die, die von Armut bedroht oder betroffen sind, ausreichend Geld zur Verfügung haben. Wenn wir die Inflation über fünf Prozent haben und dann eine Regelsatz-Erhöhung von drei Prozent, dann sind das Dinge, die nicht gehen. Da fordern wir von der Regierung, deutlich nachzubessern.

Konkret haben wir zwei Forderungen: Die, die bedroht und betroffen von Armut sind, endlich ausreichend zu unterstützen. Und das zweite ist, den Helfenden auch Unterstützung zu geben. Wir bekommen als Tafel immer noch nicht die Unterstützung, die wir brauchen, um unseren Betrieb richtig aufrecht zu erhalten.

Und für die Lebensmittelverschwendung - das vielleicht noch angemerkt - sind wir alle verantwortlich. Wenn wir das Thema angehen wollen, Armut zu bekämpfen und gleichzeitig Lebensmittelverschwendung einzuschränken, dann braucht es die gesamte Gesellschaft und die Politik. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR