KNA: Fast genau elf Monate ist das Attentat vom 26. April 2021 her. Monsignore Carlassare, wie geht es Ihnen nun?
Christian Carlassare (Bischof von Rumbek im Südsudan): Es geht mir gut, danke. Ich habe mich von dem Attentat vom letzten April erholt. Ich kann wieder laufen und beschwere mich nicht über die Narben, die zurückblieben. Gott hat mich mit innerem Frieden gesegnet, was mir klar wird, wenn ich auf sein Wirken bei den Menschen der Diözese Rumbek blicke.
KNA: Wenn Sie auf den Überfall im vergangenen Jahr zurückblicken, würden Sie von einem Mordanschlag sprechen?
Carlassare: Es war kein Mordversuch, der Angriff hatte eher zum Ziel, mich zu davonzujagen. Und, ich denke, nicht zuletzt wollte man der Kirche vor Ort drohen und sie einschüchtern. Die Angreifer führten offenbar Befehle aus.
KNA: Haben Sie keine Angst, dass sich ein solcher Angriff wiederholen könnte?
Carlassare: Die Südsudanesen sind ein friedliebendes Volk, daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass es zu einem weiteren Attentat kommen wird. Wir alle müssen unseren Teil zur Versöhnung beitragen. Das erreichen wir, indem wir unsere Hände und Herzen entwaffnen.
KNA: Berichten zufolge wurden Priester des Bistums Rumbek in Zusammenhang mit dem Attentat festgenommen. Wie wollen Sie als Bischof die Streitigkeiten innerhalb der Diözese beilegen?
Carlassare: Es gibt keine Machtkämpfe oder Fraktionen innerhalb des Bistums. Die Täter, die in dieses Verbrechen involviert waren, handelten als Einzelpersonen. Die Regierung hat Klage erhoben und wir warten auf die Verurteilung. Die Wahrheit wird uns dabei helfen, einen Wandel von Mentalität und Verhalten anzustoßen. Denn Rumbek war in den vergangenen Jahren Schauplatz von so viel Gewalt und die Menschen sind schwer traumatisiert. Das Attentat auf mich kam für viele wie eine Erweckung, die Gewalt zu stoppen. Es hat tatsächlich eine Gelegenheit zur Gnade geschaffen.
KNA: Trotzdem hätte Ihr Weg ins Amt leichter verlaufen können. Weshalb wollen Sie das Bistum immer noch führen?
Carlassare: Ich habe gelernt, dass ein guter Hirte seine Herde nicht verlässt, wenn Gefahr droht. Wir brauchen eine Kirche, die gemeinsame Sache mit den Armen macht und mit den Opfern einer gewaltvollen Gesellschaft.
KNA: Der Südsudan wurde 2011 unabhängig, kurz danach brach ein jahrelanger Bürgerkrieg aus. Welche Rolle spielt die Kirche bei der Entwicklung des jungen Staates?
Carlassare: Der heilige Daniele Comboni sagte, Afrika werde Afrika retten. Es war Teil seines tiefen Vertrauens in die Würde und die Begabung von Afrikanern. Ich bin überzeugt, dass Afrika noch die Welt retten wird, schließlich bezeichnete der Papst den Kontinent am Ende der jüngsten Afrikasynode als "spirituelle Lunge der Welt". Speziell im Südsudan kommt der Kirche eine wichtige Rolle zu, wenn es zu Versöhnung kommt und dazu, eine gemeinsame Identität zu formen. Eine Identität als Kinder desselben Vaters. Das ist der Ausgangspunkt für jede weitere Entwicklung - sie muss die Menschenwürde anerkennen.
KNA: Stichwort Papst: Im Juli wird Franziskus in den Südsudan und die Demokratische Republik Kongo reisen. Was sind Ihre Erwartungen?
Carlassare: Papst Franziskus hat sich den Armen und Ausgegrenzten verschrieben, denn deren Platz liegt im Herzen der Kirche. Es ist folglich auch der Platz der Südsudanesen, die auf eine lange Vergangenheit von Gewalt und Konflikt zurückblicken.
Jedem ist bekannt, wie sehr sich der Papst für Frieden im Südsudan einsetzt: 2019 lud er die politischen Führer zu sich in den Vatikan für einen Dialog ein. Das Friedensabkommen und die nationale Einheitsregierung sind mitunter die Früchte dieser Bemühungen. Mit seinem Besuch will er einen weiteren Schritt gehen, um den Bewohnern nah zu sein und die Kirche für ihren Friedens- und Versöhnungseinsatz zu stärken. Sobald alle Akteure der Feindseligkeit abschwören, wird Friede zurückkehren.
Das Interview führte Markus Schönherr.