DOMRADIO.DE: In der Europäischen Union gibt es schon Überlegungen, Brachflächen eventuell umzuwidmen. Grob gesagt sind Brachflächen unbestellte Äcker, die sich im Moment regenerieren. Gegen die voreilige Nutzung der Brachflächen stellt sich aber der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen. Zu Recht?
Nicole Podlinski (Bundesvorsitzende der katholischen Landvolkbewegung): Aus meiner Sicht ist es nötig, über diese Frage zu sprechen. Ich glaube, dass es wichtig ist, die ökologischen Vorrangflächen zu behalten. Das würde bedeuten, dass man sie nur für Futterzwecke benutzt. Man könnte zum Beispiel einen sogenannten "doppelten Schnitt" nehmen. Das heißt, man kann zum Beispiel einfach häufiger das Gras schneiden und daraus Futter erzeugen.
Ich glaube auch, dass dies Cem Özdemir vorschwebt und nicht der Umbruch der Flächen. Wenn man zum Beispiel Grünland umbricht, dauert es sehr lange, bis das wieder aufgebaut wird.
Zweitens wird sehr viel CO2 freigesetzt.
Und drittens sind das ökologische Vorrangflächen, die dazu da sind, so eine Art Reserve auch für kleine Tiere, für die ganze Biodiversität zu bilden. Wir würden uns langfristig in den Finger schneiden, wenn wir das machen.
DOMRADIO.DE: Also man könnte es teilweise für Futtermittel machen, aber nicht für Raps- oder Sonnenblumenöl oder Weizen?
Podlinski: Das ist sowieso schwierig, weil die Landwirte und Landwirtinnen für ihre Brachflächen im Grunde nicht die besten Flächen genommen haben. Viele dieser Brachflächen sind eigentlich keine guten Flächen. Das heißt, man kann nicht einfach hingehen und den Durchschnittsertrag von Weizen oder Sonnenblumen sozusagen nehmen und auf diese Brachflächen beziehen.
Das hat auch das Heinrich-Böll-Institut ausgerechnet, dass das sogar weltweit gar nicht so einen hohen Hebel auf die Preise haben würde, wenn wir jetzt alle diese Flächen, die ökologischen Vorrangflächen, stilllegen.
Da gibt es ganz verschiedene Diskussionen. Wir müssen immer was tun, was auch eine hohe Wirkung hat. Eigentlich ist ein stabiles und klimaresistentes Nahrungssystem unser Ziel. Wir haben uns aber weltweit von diesen Nahrungsmitteln sehr abhängig gemacht und das ist natürlich ein Fehler gewesen. Das sehen wir jetzt auch.
DOMRADIO.DE: Welchen großen Hebel kann man stattdessen bemühen, damit es bei Lebensmitteln nicht zu Engpässen kommt?
Podlinski: Wir haben das alle ein bisschen in der Hand. Wir könnten zum Beispiel die Lebensmittelverschwendung verringern. Fast 30 Prozent der Lebensmittel werden verschwendet. Ich glaube die FAO, die Welternährungsorganisation, hat gesagt, in den Haushalten werden 25 Prozent der Lebensmittel verschwendet. Es geht auch viel auf Feldern oder bei der Verarbeitung verloren.
Weiterhin könnte man zum Beispiel eine Ernährung mit etwas weniger tierischen Erzeugnissen anregen und die Hülsenfrüchte mehr einsetzen. Die müssen dann natürlich auch produziert werden.
Eine ökologische Reproduktion hilft uns auch in gewisser Weise. Denn momentan besteht auch das Problem, dass die Düngemittelpreise, die in der konventionellen Produktion stark eingesetzt werden, gestiegen sind, weil in der Herstellung von Düngemittel so wahnsinnig viel Erdgas steckt. Die Düngemittel wurden auch von Russland exportiert. Das ist auf ganz verschiedenen Ebenen jetzt für uns erschwert.
DOMRADIO.DE: Es sind natürlich Klagen auf hohem Niveau, wenn man sich den ärmeren Teil der Welt anschaut. Wie können wir auf eine Knappheit bei den Lebensmitteln denn global reagieren?
Podlinski: Das ist eine schwierige Frage. Zunächst einmal sind die Lebensmittelpreise sehr verteuert worden. Ich denke, da ist es jetzt wichtig, dass das Welternährungsprogramm die Mittel in dem Rahmen aufstockt, in dem sich die Lebensmittel verteuert haben. Da würden dann einfach nur die eingefahrenen Wege, die jetzt schon zur Verteilung oder zur Hilfe da sind, bemüht.
Langfristig müssen wir aber überall Abhängigkeiten verringern. Es muss möglich sein, dass überall wieder produziert wird und auch überall wieder abgesetzt wird. Es muss möglich sein, dass Landwirte überall in der Welt von ihrer Hände Arbeit leben können und eine gewisse Grundversorgung vor Ort stattfindet.
Natürlich brauchen wir auch den internationalen Handel. Ich spreche mich nicht dagegen aus. Den brauchen wir schon alleine deswegen, um Missernten und Klima-Folgeschäden und so weiter auch mal kompensieren zu können.
Aber ich denke, es ist vor allen Dingen wichtig, dass sich die Menschen vor Ort erst mal selbst ernähren. Das haben wir in den letzten Jahren sehr stark aus den Augen verloren. Damit wurden auch viele Landwirte aus der Produktion getrieben.
Das Interview führte Tobias Fricke.