Myroslaw Marynowytsch spricht über kirchlichen Widerstand

"Ich rieche den Geruch des Todes von Putins Regime"

Myroslaw Frankovych Marynowytsch gilt in der Ukraine als Galionsfigur des kirchlichen Widerstands gegen das Sowjetregime. Im Interview spricht er über Gebete um Sieg oder Frieden und den "Geruch des Todes", der von Moskau herüberwehe.

Ukraine, Lwiw: Eine Statue ist in der in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul in Schutzfolie eingepackt / © Carol Guzy (dpa)
Ukraine, Lwiw: Eine Statue ist in der in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul in Schutzfolie eingepackt / © Carol Guzy ( dpa )

KNA: Schon während seines Elektrotechnik-Studiums in Lwiw (Lemberg) wurden Sie 1977 zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt, weil Sie die ukrainische Helsinki-Gruppe mitbegründeten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion arbeiteten Sie am Kiewer Osteuropa-Institut und gründeten 1997 das Institut für Religion an der Theologischen Akademie in Lwiw, die später zur Katholischen Universität wurde. Heute sind Sie dort Vizerektor. Herr Marynowytsch, welchen Stellenwert hat die Kirche in dem Krieg für die Menschen in der Ukraine?

Myroslaw Frankovych Marynowytsch (Vizerektor der Katholischen Universität in Lwiw): Die Rolle der Kirche ist enorm. Da ist einmal die humanitäre Hilfe, die sie leistet. Auch sehen wir den Willen zu helfen, eine Solidarität und eine Sorge um die Menschen und auch aus dem Ausland und auch außerhalb der Kirche. Eine weitere wichtige Rolle fällt den Priestern zu, sie leisten spirituelle Unterstützung. Im Westen der Ukraine, wo nicht geschossen wird, haben wir täglich Gebete und Liturgie. Wir versuchen, die Normalität des Lebens so lange es geht zu behalten. Das gibt uns Kraft.

Myroslaw Frankovych Marynowytsch / © Markus Nowak (Ren)
Myroslaw Frankovych Marynowytsch / © Markus Nowak ( Ren )

KNA: Wofür beten derzeit die ukrainischen Gläubigen: Für Frieden oder gar um Sieg über Russland?

Marynowytsch: Es gab eine Diskussion in unserer Kirche. Denn sie betet typischerweise für Frieden. Aber das kann irreführend sein in dieser Situation. Auch russische Propaganda spricht von "Frieden", den sie in der Ukraine herstellen will, weil wir ja angeblich eine Nazi-Regierung haben, die den Krieg will. Wenn wir nun um Frieden beten, dann wäre es wie eine Wiederholung jener Propaganda. Wir beten daher auch für den Sieg, was ich nicht im Gegensatz zur christlichen Lehre sehe. Es war nicht die Ukraine, die Russland angegriffen hat, sondern Russland, und zwar schon 2014. Dieser Krieg ist wie eine Art Armageddon zwischen Gut und Böse. Und wenn wir für den Sieg beten, dann meinen wir den Sieg von Liebe und Mitgefühl über das Böse und die Aggression Russlands.

KNA: Was würde aber ein Sieg Russlands für die Ukraine bedeuten?

Marynowytsch: In den ersten Tagen haben wir uns allein gefühlt in diesem Krieg. Da gab es eine Art Sorge, was mit der Ukraine passiert. Aber jetzt, wenn wir sehen, die Welt ist auf unserer Seite, da sind wir sicher. Wir versuchen nicht erst zu analysieren, was passiert, wenn Putin gewinnt. Als ich im sowjetischen Gefängnis Ende der 1970er saß, war Breschnews Regime auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Aber wir haben den Geruch des Todes des Regimes gespürt. Wir waren sehr sicher, dass das Regime kollabiert, und es passierte 1991. Jetzt sagt Putin, seine Armee ist die zweitgrößte der Welt. Aber ich rieche wieder den Geruch des Todes seines Regimes. Also male ich mir nicht seinen Sieg aus. Ich spürte damals wie heute die Agonie.

KNA: Der Krieg gegen die Ukraine scheint die Ukrainer vereinigt zu haben. Gilt das auch für die Kirchen im Land?

Marynowytsch: Die beiden Maidan-Revolutionen haben einen großen Unterschied gemacht. Die Kirchen versuchen, die Nation zu unterstützen und setzen sich für die Menschenrechte ein. Wir Kirchen [die katholische und die orthodoxe Kirche des eigenständigen Kiewer Patriarchats, Anm.] kamen uns näher und arbeiten zusammen. Ich will nicht übertreiben, denn kanonisch ist es schwer, zusammenzukommen zwischen den Hierarchen. Aber zwischen den Menschen gibt es einen großen Willen zur Zusammenarbeit.

Die Moskauer Kirche ist aber in einer schwierigen Lage. Sie hat sich an den russischen Präsidenten gewandt, um den Krieg zu beendet. Etwas, was der Patriarch nicht wollte. Aber es war wichtig, dass die Kirche das selbst entschieden hat. Der Krieg wird auch zu Veränderungen in der geochristlichen Dimension führen. Sie werden dramatisch sein und zu einem Verlust der Mitglieder der orthodoxen Moskauer Kirche führen.

KNA: Welche Rolle schreiben Sie den Kirchen in der Konfliktschlichtung zwischen Moskau und Kiew zu?

Marynowytsch: Der Vatikan ist ermutigt durch die Geschichte der Mediation zwischen der Sowjetunion und der USA während der Kubakrise. Damals hat Rom gute Arbeit geleistet, und vielleicht kann es jetzt die gleiche Rolle spielen. Bloß hat es lange gedauert, bis der Vatikan etwa von Aggression oder Krieg sprach. Lange hat man vom Konflikt in der Ukraine gesprochen.

Was die Ortskirchen angeht, so sind die politischen Akteure hier zu stark, als dass wir als Kirche etwas machen können. Die Rolle der Kirche wird nach dem Krieg wachsen, wenn es darum geht, die Gesellschaft und die Beziehungen der Menschen aufzubauen.

Das Interview führte Markus Nowak.

Griechisch-katholische Kirche der Ukraine

Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine ist die größte katholische Ostkirche. Zu ihr bekennen sich nach Angaben des Vatikan weltweit rund 4,5 Millionen Christen. In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine ist etwa jeder zehnte Einwohner griechisch-katholisch. Ihr Oberhaupt ist Großerzbischof von Kiew-Halytsch, Swjatoslaw Schewtschuk (51).

Swjatoslaw Schewtschuk (l.), Großerzbischof von Kiew-Halytsch der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, zu Besuch bei Papst Franziskus. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Swjatoslaw Schewtschuk (l.), Großerzbischof von Kiew-Halytsch der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, zu Besuch bei Papst Franziskus. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA