DOMRADIO.DE: Sie spenden 500 "Body Bags", Leichensäcke, die am Donnerstag auf den Weg in die Ukraine gehen. Was hat Sie dazu bewogen?
Caren Baesch (Bestatterin aus Bochum): Mich hat ein Beitrag in den Tagesthemen vom 16. März von Mareike Aden dazu bewogen. Da wurde aus der Stadt Mariupol über ein Krankenhaus berichtet. Ein Arzt war zu sehen, der sagte, dass sehr viele Verstorbene in den Untergeschossen der Krankenhäuser liegen, nur mit Decken bedeckt. Man findet keine Angehörigen oder Menschen, die es schaffen, diese verstorbenen Menschen zu abzuholen und beizusetzen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie ersetzen damit keine würdige Bestattung, aber Sie versuchen das auf eine Art und Weise?
Baesch: Ja, was heißt versuchen... Ich glaube, von einer würdevollen Bestattung sind wir in dortigen Situationen ganz weit weg. Diese "Body Bags" werden hier – viele kennen das vielleicht noch so aus der extremen Coronazeit – verwendet, um Schutz zu bieten, zum einen vor Infektionen natürlich, Seuchengefahr und so weiter, aber auf der anderen Seite in dieser speziellen Situation im Krieg auch Schutz vor Anblick.
DOMRADIO.DE: Zum Beispiel vor traumatisierenden Bildern, wo tote Menschen auf der Straße liegen bleiben?
Baesch: Ja, zum einen ist es der Schutz für den Anblick, aber auch ein Schutz für das, was mit einem verstorbenen Körper auch passiert. Ich bin da immer sehr vorsichtig in der genauen Beschreibung, aber selbstverständlich verlieren sich dort Flüssigkeiten und die Seuchengefahr ist einfach gegeben. Ein weiterer Aspekt ist, dass man die Menschen damit auch tragen kann, weil diese Hüllen auch dafür geeignet sind.
DOMRADIO.DE: Der Begriff "Body Bags" sagt sich irgendwie leichter als "Leichensäcke". Wie nennen Sie das?
Baesch: Ich mag den Begriff Leichenhülle grundsätzlich nicht. Auch in der Coronazeit habe ich versucht das Wort zu vermeiden. Ich nenne es "Verstorbenenhülle" oder eben "Body Bag", wie sie auch bezeichnet werden.
DOMRADIO.DE: Sie haben diese 500 Verstorbenenhüllen mit jeweils einer daran befestigten Postkarte versehen. Was steht da drauf und wozu ist die?
Baesch: Nach meinem Impuls, die Body Bags auf den Weg zu bringen, habe ich Ralf Knoblauch angerufen, den Künstler und Erschaffer der Könige- und Königinnen-Skulpturen, und ihm davon erzählt. Er hat dann eine Postkarte gefertigt mit einem König und einer Königin der ukrainischen Flagge und mit den kyrillischen Buchstaben: "Du bist bzw. du hast Würde." Die Idee ist, diese Karte an jeden einzelnen Body Bag möglichst ans Kopfteil zu befestigen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie rechnen damit, dass ebenfalls viele Menschen in der Ukraine weiterhin nicht würdig bestattet werden können?
Baesch: Wenn ich an die Zahlen des Wochenendes denke und an die Bilder von Butscha – bei dieser Vielzahl ziviler Opfer, ist keine würdige Bestattung möglich.
DOMRADIO.DE: Man kann in diversen Medien und sozialen Netzwerken etwas über Ihre Aktion erfahren. Bei Facebook gibt es dann auch mal Kommentare wie "Die Menschen haben doch bestimmt andere Sorgen, zum Beispiel, ob sie selbst nicht in den nächsten Tagen tot sind". Ein anderer schreibt, das sei ungefähr so hilfreich wie die 5000 Helme, die Deutschland in die Ukraine gesendet hat. Was erwidern Sie da?
Baesch: Solche Kommentare machen mich im Grunde genommen selbst sprachlos. Ich denke, es ist gar nicht viel, was wir da tun. Wie ich schon sagte: Es geht darum etwas Schutz zu bieten vor Anblick – wenn Kinder, Mütter, Zivilisten auf der Straße sind und diese verstorbenen Menschen sehen, wie sie dort gestorben sind. Es geht darum, diesem Anblick ein klein bisschen entgegenzusetzen, um die Möglichkeit zu schaffen, die Verstorbenen in diesen Hüllen zu transportieren. Sie werden jetzt auf Verkehrsinseln, in Vorgärten, in Massengräbern beigesetzt. Da ist jegliche Vorstellung von würdevoller Bestattung, wie wir das hier in Friedensgebieten kennen, in einem Sarg zu liegen, gebettet, weit von entfernt, bei dieser Vielzahl an Verstorbenen. Das ist keine riesige Aktion. Das ist ein ganz, ganz kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Und ich denke, die Menschen, die sich jetzt gerade um die Opfer kümmern, vielleicht auch diese Botschaft lesen von Rolf Knoblauch auf der Karte "Du hast Würde" – damit wollen wir auch ein Zeichen des Mitgefühls setzen.
DOMRADIO.DE: Sie arbeiten für den Hilfstransport mit der Gesellschaft Bochum-Donezk e. V. zusammen. Morgen geht der 17. Hilfstransport von Bochum in die Ukraine. Die Verstorbenenhüllen liegen dann neben anderen Hilfsgütern: Schlafsäcken, Babywindeln. Das zeigt auch nochmal die Absurdität eines Krieges. Was wird sonst noch in die Ukraine gebracht?
Baesch: In erster Linie werden für die dort lebenden Menschen Lebensmittel benötigt. Das sind Konservendosen, die man leicht öffnen kann und erhitzen kann. Getreide, Nahrungsmittel, Müsli-Riegel, Windeln, Babynahrung, medizinische Hilfsgüter. All das hat die Gesellschaft Bochum-Donezk auch schon viele Jahre zuvor dort hingebracht zur Unterstützung. Morgen fahren beim LKW-Transport wieder 40-Tonner los, zunächst nach Sokal oder Lviv. Dort werden die Hilfsgüter auf die PKW und Transporter eines Freiwilligen-Netzwerkes verladen und erreichen andere Regionen der Ukraine.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.