Immer mehr ukrainische Geistliche brechen mit Kyrill I. 

Eine beispiellose Zerreißprobe

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. sorgt mit Äußerungen auf Linie des Kreml-Chefs in der Ukraine seit Wochen für Entsetzen. Einige ukrainische Geistliche seiner Kirche sehen Kyrill als Vasall Putins und proben den Aufstand.

Autor/in:
Oliver Hinz
Kyrill I. / © Alexander Zemlianichenko (dpa)
Kyrill I. / © Alexander Zemlianichenko ( dpa )

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. positioniert sich eindeutig zum Krieg in der Ukraine. Er rechtfertigte den russischen Angriffskrieg als "metaphysischen Kampf" des Guten gegen das Böse aus dem Westen, das die Grundlagen von Religion und Gesellschaft zu zerstören drohe.

Als Beispiel führte das Kirchenoberhaupt dabei an, dass von Menschen in der Ukraine angeblich die Durchführung von "Schwulenparaden" verlangt werde. Die Forderung, diese abzuhalten, sei "ein Test der Loyalität gegenüber dieser sehr mächtigen Welt". Der Widerstand gegen die Paraden werde gewaltsam unterdrückt; den Menschen werde so "Sünde" und "Verleugnung Gottes" aufgezwungen. Also müsse man den Brüdern und Schwestern im Donbass helfen, so Kyrill I. im März in einer Predigt.

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )

Einschwören auf den Kampf

In der neuen, pompösen Armee-Kathedrale in Kubinka vor den Toren Moskaus schwor der Patriarch russische Soldatinnen und Soldaten dann zu Monatsbeginn persönlich auf den Kampf ein. Sie sollten ihren Eid erfüllen und bereit sein, ihr Leben für ihre Nächsten zu geben, wie es die Bibel besage. Damit übernahm er die Rhetorik von Kreml-Chef Wladimir Putin. Dieser hatte sich zwei Wochen zuvor in einer Rede vor Tausenden Menschen mit Blick auf den Krieg auf den Vers aus dem Johannes-Evangelium berufen: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt." Das verband er mit einem Lob, "wie heldenhaft unsere Jungs bei diesem Einsatz handeln und kämpfen".

Als Vasall des Kriegsverbrechers Putin hat sich Kyrill I. bei vielen ukrainischen Laien und Geistlichen seiner Kirche vollends diskreditiert. Einst war der Zweig des Moskauer Patriarchats in der Ukraine größer und bedeutender als jede andere Konfession. Doch nun setzt der Kriegskurs des Moskauer Patriarchen der "Ukrainisch Orthodoxen Kirche" (UOK) schwer zu. Sie erlebt eine beispiellose Zerreißprobe. In 21 der 53 Diözesen stellten die örtlichen Bischöfe ihren Pfarreien frei, Kyrill I. in der Liturgie nicht mehr zu gedenken - was in der Orthodoxie als harte Sanktion gilt.

Symbolischer Bruch mit Kyrill I.

Die besonders kyrill-kritischen Bistümer liegen nach Angaben der Initiative Christian Vision fast alle im Westen des Landes. Auch eines der drei bedeutendsten Klöster gedenkt nur noch des Oberhaupts der UOK, Metropolit Onufri, nicht aber Kyrills I.: das Mariä-Himmelfahrts-Lawra von Potschajiw bei Ternopil in der Westukraine. Dieser symbolische Bruch mit dem Moskauer Patriarchen zeigt laut Christian-Vision-Moderatorin Natallia Vasilevich, dass Kyrill I. seine Autorität eingebüßt habe. 

Die in Minsk geborene orthodoxe Theologin sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Früher gab es in der russischen Kirche auch Leute, die mit Patriarch Kyrill nicht einverstanden waren und seine Entscheidungen nicht mochten; aber sie konnten ihn trotzdem respektieren. Wenn sich nun Menschen weigern, seiner zu gedenken, bedeutet das, dass eine Grenze überschritten wurde und dieser Name und diese Person so giftig geworden sind, dass sie nicht mehr toleriert werden." Metropolit Onufri erkenne zwar weiter Kyrills Macht an, aber er tituliere ihn nicht mehr wie früher als "Herr und Vater", sondern nur noch als "Herr", so Vasilevich. "Das ist ein moralischer Totalausfall."

Priester fordern "internationales Kirchentribunal"

Die Kirchenführung in Kiew antwortete auf KNA-Anfragen nicht. Metropolit Luka von Saporischschja im Südosten der Ukraine sagte dem russischsprachigen Dienst der BBC, er werde Kyrill I. weiter kommemorieren, wie es sich gehöre. "Es herrscht eine große Verwirrung unter den Menschen; das bestreite ich nicht", so der Bischof. "Sogar bei uns in Saporischschja gibt es Gemeinden, die nicht des Patriarchen gedenken."

Den Aufstand proben bereits mehr als 320 ukrainisch-orthodoxe Priester. Sie fordern ein "internationales Kirchentribunal" gegen Kyrill I. Ein "Konzil der Vorsteher der alten Ostkirchen" solle das Moskauer Kirchenoberhaupt absetzen. In dem Appell wird Kyrill I. vorgeworfen, "die Doktrin der russischen Welt" zu predigen, "die nicht der orthodoxen Lehre entspricht und als Ketzerei verurteilt werden muss". Zudem habe der Patriarch das "moralische Verbrechen begangen, den Krieg gegen die Ukraine zu segnen und die Aggressionshandlung der russischen Truppen auf ukrainischen Boden voll und ganz zu unterstützen".

Diskussion über Kirchenverbot

Es gebe in der Kirchengeschichte einen Präzedenzfall für eine Amtsenthebung, heißt es in dem auf Facebook veröffentlichten Appell. Dem Moskauer Patriarchen Nikon sei 1666 die Patriarchen- und Bischofswürde aberkannt worden. Man habe ihn als "einfachen Mönch" zur Buße in ein Kloster geschickt.

Doch es könnte noch schlimmer kommen für die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Eine Mehrheit von 51 Prozent der Ukrainer befürwortete in einer aktuellen Umfrage ein Verbot der Kirche. Nur 20 Prozent lehnten jede staatliche Einmischung in Kirchenangelegenheiten ab. Weitere 21 Prozent sprachen sich zwar nicht für ein Kirchenverbot aus, aber für die Streichung von Zuschüssen und die Kündigung von Mietverträgen für Gotteshäuser.

Auflösung beantragt

Das Oberhaupt der rivalisierenden autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine", Metropolit Epiphanius, hat die moskautreue Kirche immer wieder scharf kritisiert. "Wir wissen, dass die Kirche für Putin, für die Russische Föderation, eine sehr wichtige Rolle spielt. Die Kirche ist praktisch der letzte Außenposten zur Unterstützung Putins in der Ukraine", sagte er jüngst.

Abgeordnete der Opposition beantragten im ukrainischen Parlament Ende März eine Auflösung der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie legten dazu zwei verschiedene Gesetzentwürfe vor. Die Parlamentarier der liberalen Partei Holos (Stimme) werfen in ihrem Antrag der mit Moskau verbundenen Kirche Sabotage am ukrainischen Staat und Zusammenarbeit mit dem Kreml vor. So hätten Ermittler nach Beginn des russischen Einmarschs am 24. Februar zwei Geistliche unter anderem wegen Kooperation mit russischen Geheimdiensten festgenommen.

Verstoß gegen Religionsfreiheit?

Eine Mehrheit für ein Kirchenverbot ist im Parlament bislang nicht in Sicht. Der ukrainische Rechtsexperte Dmytro Wowk sagte der KNA, die Gesetzentwürfe seien nicht mit anderen Gesetzen vereinbar. Zum Beispiel dürften nur Gerichte über ein Verbot von religiösen Organisationen entscheiden. Die UOK zähle etwa 12.000 Pfarreien. Es fehle ein "realistischer Mechanismus" für die Umsetzung der umstrittenen Gesetzentwürfe. Ein totales Kirchenverbot verstoße außerdem gegen die Religionsfreiheit, die etwa durch die europäische Menschenrechtskonvention geschützt werde, so der Direktor des Zentrums für Rechtsstaatlichkeit und Religionswissenschaft.

Der Vatikan sieht das ähnlich. Seine Botschaft teilte am Montag mit: "Die Apostolische Nuntiatur in der Ukraine hat zur Kenntnis genommen, dass es öffentliche Diskussionen über bestimmte Kirchen, ihre rechtliche Anerkennung und die jeweilige Nutzung von Eigentum gibt. In diesem Zusammenhang hält es die Nuntiatur für angebracht, darauf hinzuweisen, dass der Heilige Stuhl gegen jede restriktive Maßnahme gegen eine Kirche oder religiöse Organisation ist, egal in welchem Land und in welcher Situation."

Quelle:
KNA