Kirchenrechtler Heinig kritisiert evangelische Friedensethik

"Ponyhof-Theologie"?

Für den Kirchenrechtler Hans Michael Heinig greift die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Friedensethik angesichts des Ukraine-Krieges zu kurz. Eine Friedensdenkschrift von 2007 biete hier kaum sinnvolle Antworten.

Beteiligte an einem Ostermarsch mit Friedensgottesdienst / © Christian Ditsch (epd)
Beteiligte an einem Ostermarsch mit Friedensgottesdienst / © Christian Ditsch ( epd )

Erhebliche Teile des kirchlichen Protestantismus seien der Auffassung, man möge lieber auf die rechtserhaltende Gewalt verzichten, kritisierte der Göttinger Jura-Professor. Polemisch gesprochen sei das "Ponyhof-Theologie", die die Errungenschaften einer menschenrechtlich und demokratietheoretisch aufgeklärten reformatorischen Theologie des Politischen zur Seite wische, erklärte er.

Kirchliche Verlautbarungen wirken zynisch

Und es sei auch inkonsequent, so Heinig, wenn man bedenke, dass sofortiger ukrainischer Gewaltverzicht nicht in einen gerechten Frieden münden würde, sondern in Kolonialisierung, Unterwerfung und kultureller Auslöschung. "Kirchliche Verlautbarungen, die das nicht klar benennen, sondern schlicht zur Mäßigung 'beider Seiten' aufrufen, wirken deshalb in bedrückender Weise zynisch", kritisierte er.

Auf die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine aufgeworfenen Fragen gebe die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 kaum sinnvolle Antworten, sagte er. Lese man die Denkschrift, falle ins Auge, wie stark sie unter dem Eindruck des Terroranschlags auf das World Trade Center am 11. September 2001 stehe, sagte Heinig. Es gehe um asymmetrische Kriegsführung, Terrorbekämpfung und menschenrechtlich begründete militärische Interventionen. Vor diesem Hintergrund werde der "gerechte Frieden" zur neuen Leitkategorie ausgerufen. "Die Formel diente damals als Kompromissklausel, hinter der sich eine radikalpazifistische Position ebenso stellen konnte wie eine verantwortungsethische", sagte Heinig dem epd.

Hannoveraner Landesbischof fordert unablässigen Einsatz

Zum orthodoxen Osterfest am Sonntag hat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister die Christen dazu aufgerufen, sich "unablässig" für Frieden einzusetzen. "Mit Ihnen, die Sie aus der Ukraine geflohen sind, stehen wir gemeinsam vor Gott und suchen nach Antworten für das Unfassbare", schreibt der evangelische Geistliche in einem auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch verfassten Grußwort an die orthodoxen Kirchengemeinden. "Wir bitten um ein Osterfest, das Ihnen Trost und Halt gibt." (KNA/21.04.2022)

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers / © Harald Oppitz (KNA)
Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers / © Harald Oppitz ( KNA )

Kriterien für Gewaltanwendung herausarbeiten

Nach dem Erscheinen der Denkschrift habe sich die Rede vom "gerechten Frieden" innerkirchlich auf eigenwillige Weise verselbständigt. Wurde damals noch das Völkerrecht hochgehalten, spiele dies jetzt keine Rolle mehr, kritisierte Heinig. "Von legitimer, rechtserhaltender Gewalt will man kirchlicherseits nicht mehr viel wissen. Stattdessen ist die Rede davon, dass man sich im Krieg stets schuldig mache, weshalb dann deutsche Waffenlieferung kritisch bewertet werden", so Heinig. Beispielsweise hatte sich der EKD-Friedensbeauftragte und mitteldeutsche Landesbischof, Friedrich Kramer, wiederholt gegen Waffenlieferungen ausgesprochen.

"Dabei ist es doch nach evangelischem Verständnis gerade das Verstricktsein des Menschen im Bösen, was die rechtserhaltende Gewalt zunächst einmal auf den Plan ruft", betonte Heinig. "Sicherlich: auch bei der Ausübung dieser Gewalt entkommt der Mensch nicht dem möglichen Schuldigwerden." An der Stelle beginne eigentlich erst die Arbeit an einer konkreten Ethik des Politischen, die Kriterien wie ein Übermaßverbot und legitime Ziele wie der "gerechte Frieden" für Gewaltanwendung herausarbeiten müsse.

Quelle:
epd
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