Erinnerung an Hochschule für die Wissenschaft des Judentums

Vor 150 Jahren wurde die Institution in Berlin eröffnet

Mit ihr sind große Namen wie Abraham Geiger und Leo Baeck verknüpft. Vor 150 Jahren wurde in Berlin die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums eröffnet. Die Institution war auch Wegbereiterin für eine Pionierin.

Autor/in:
Leticia Witte
Fassade des Leo-Baeck-Haus (m.), Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Jannis Chavakis (KNA)
Fassade des Leo-Baeck-Haus (m.), Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Jannis Chavakis ( KNA )

Hier studierte auch Regina Jonas, die weltweit erste Rabbinerin. Die Rede ist von der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, die vor 150 Jahren, am 6. Mai 1872, in Berlin eröffnet wurde. Sie war eine Institution und ist eng mit den Namen Abraham Geiger und Leo Baeck verknüpft. Ihr Wirken konnte die Hochschule gerade einmal 70 Jahre lang entfalten: Unter dem NS-Regime musste sie im Juni 1942 schließen. Bis dahin hatte sie rund 730 Studierende.

Zu ihnen gehörte Erwin Zimet, der sein Studium 1938, im Jahr der Novemberpogrome, abschloss. Zimets Zwischenprüfungszeugnis ist auf den 5. Juli 1933 datiert - nur ein paar Monate zuvor war Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Das Zeugnis ist über das Jüdische Museum Berlin zugänglich und trägt neben den Noten die Unterschriften bedeutender Lehrer: Chanoch Albeck (Talmud), Leo Baeck (Midrasch), Ismar Elbogen (Jüdische Geschichte und Literatur) und Julius Guttmann (Religionsphilosophie).

Rabbiner Leo Baeck (epd)
Rabbiner Leo Baeck / ( epd )

Und eben auch Regina Jonas - denn die Hochschule nahm auch Frauen und Nichtjuden auf. Sie schloss ihr Studium als Religionslehrerin ab, ihr eigentliches Ziel war es jedoch, Rabbinerin zu werden. So lautete der Titel ihrer Arbeit: "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? Eine Streitschrift". Sie selbst zeigte, dass es möglich war: Elf Jahre nach ihrer Immatrikulation und der Überwindung von Widerständen willigte Rabbiner Max Dienemann vom Liberalen Rabbinerverband 1935 in die Ordination von Jonas ein. Das kurze Leben dieser Pionierin endete tragisch: 1942 wurde sie deportiert und 1944 in Auschwitz getötet.

Hochschule für Wissenschaft des Judentums

Die Barbarei und die Restriktionen unter dem NS-Regime, die aus dem Kreis der Studierenden nicht nur Jonas trafen, waren zum Zeitpunkt der Idee und Gründung der Hochschule freilich nicht absehbar. Die Initiatoren waren 1867 der Berliner Stadtrat Moritz Meyer und Professor Moritz Lazarus. Bis dahin gab es noch keine rein wissenschaftliche Einrichtung für die Erforschung jüdischer Kultur, gleichwohl seit 1854 ein Jüdisch-Theologisches Seminar in Breslau.

Das Ziel der Berliner Hochschule bestand laut Satzung in "Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung der Wissenschaft des Judentums" - daran erinnert jetzt zum Jahrestag Hartmut Bomhoff, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Potsdamer School of Jewish Theology, im aktuellen Mitteilungsblatt der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland. Der "Spiritus Rector" der Einrichtung, Rabbiner Abraham Geiger, habe die Rabbinerausbildung mit einem Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule kombinieren wollen.

Revolution des traditionellen Konzepts jüdischen Lernens

Liberale Kräfte trugen die Initiative, die Unabhängigkeit jedoch von "innerjüdischen Richtungsstreitigkeiten" sollte ebenso gewährleistet werden wie die "Autonomie gegenüber dem Staat und jüdischen Gemeinden und Verbänden", betont Bomhoff. "Durch die Übernahme des bürgerlichen Ideals von Bildung revolutionierte die Hochschule damit das traditionelle Konzept jüdischen Lernens, wie es in Jeschiwot praktiziert wurde." Geigers Ziel sei die "Gleichberechtigung des Judentums mit den anderen Konfessionen" gewesen.

Schon vor ihrer endgültigen Schließung war der Weg der Hochschule mitunter holprig. So wurde ihr 1883 der Titel aberkannt: Sie hieß fortan "Lehranstalt", was nach einem Antrag von 1918 später wieder rückgängig gemacht wurde und unter den Nazis erneut eine gegenläufige Richtung nahm. In den letzten Jahren ihres Bestehens gehörten zu einem nur noch kleinen Studierendenkreis auch Ernst Ludwig Ehrlich und als letzter Repräsentant Rabbiner Leo Baeck, einer der bedeutendsten Vertreter des liberalen Judentums.

Spuren der Hochschule im heutigen Berlin

Wer von der ehemaligen Hochschule wie er die Schoah überlebte - Baeck überstand Theresienstadt, ging nach dem Zweiten Weltkrieg nach London und engagierte sich im jüdisch-christlichen Dialog - wirkte teils in prominenten Funktionen in unterschiedlichen Staaten. Und auch in Berlin sind nicht alle Spuren der Hochschule verschwunden: In ihrem letzten Domizil in der Artilleriestraße 14, jetzt Tucholskystraße 9, hat heute der Zentralrat der Juden in Deutschland seinen Sitz - das Haus ist nach Leo Baeck benannt.

Und nicht zuletzt werden in Deutschland wieder Rabbiner und - je nach religiöser Strömung - auch Rabbinerinnen ausgebildet: am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg und am konservativ ausgerichteten Zacharias Frankel College jeweils in Potsdam und am orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin. An diesem Dienstag wird in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit einer Veranstaltung an die Eröffnung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums erinnert.

Quelle:
KNA