Die Niederlage war absehbar. Sämtliche Umfragen sagten den Systemwechsel beim Transplantationsgesetz voraus: von der Zustimmungs- hin zur Widerspruchslösung. Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis stimmten 60,2 Prozent der Schweizer für den Systemwechsel, 39,8 Prozent dagegen.
Konkret bedeutet das: Künftig werden alle Menschen automatisch zu Organspendern - es sei denn, sie widersprechen explizit. Bislang durften gemäß der sogenannten Zustimmungslösung Organe bei einem Verstorbenen nur entnommen werden, wenn ein Organspendeausweis vorlag oder den Hinterbliebenen der Wille des Verstorbenen bekannt war.
Kontroverse Debatte
Das Pro-Lager hatte im Abstimmungskampf die emotionaleren Argumente: Mit der Hilflosigkeit einer erkrankten Person, die dringend auf eine Organspende wartet, lässt es sich einfacher werben als mit der Menschenwürde einer toten Person, deren Meinung zum Thema Organspende unbekannt ist.
Zu den engagierten Kritikern im Abstimmungskampf gehörte der Luzerner Theologieprofessor Peter Kirchschläger. Der Ethiker lieferte sich im Schweizer Fernsehen ein Duell mit Gesundheitsminister Alain Berset und betonte: "Die Widerspruchslösung wäre ein Bruch mit dem liberalen Rechtsstaat und eine Verletzung der Menschenrechte auf Freiheit und auf körperliche Unversehrtheit." Doch auch der eloquente Kirchschläger kam im Wahlkampf an seine Grenzen: Auch für ihn war es schwierig, "den Argumenten von Menschen etwas zu erwidern, die dringend auf ein Organ warten".
Theologieprofessor fordert Aufklärung
Nach dem klaren Ja zu einem Systemwechsel bei der Organspende fordert Kirchschläger nun eine breite Info-Kampagne des Bundesamtes für Gesundheit. Diese sei notwendig, damit niemandem gegen seinen Willen Organe entnommen würden. "Das Bundesamt für Gesundheit muss die Bevölkerung darauf hinweisen, was ein fehlender Widerspruch bedeutet - mit allen Konsequenzen", sagte er am Sonntag dem Portal kath.ch.
Trotz der Niederlage kann der Ethiker der Abstimmung etwas Positives abgewinnen. Schließlich hat sich die Schweiz nicht für eine pauschale Widerspruchslösung entschieden, sondern für die sogenannte erweiterte Widerspruchslösung. Diese sieht vor: Wenn der Wille der verstorbenen Person nicht bekannt ist, müssen Angehörige hinzugezogen werden. Sind keine Angehörige auffindbar, darf kein Organ entnommen werden. Die "sonstigen Bemühungen um mehr Organspenden dürfen nun nicht nachlassen", forderte er.
Bischofskonferenz zeigt sich enttäuscht
Im Abstimmungskampf hatte auch die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz gegen einen Systemwechsel geworben.
Beispiele in anderen Ländern hätten gezeigt, dass die Widerspruchslösung nicht zu mehr Organspenden führe. Entsprechend skeptisch zeigte sich am Sonntag die Co-Sekretärin der Kommission, Anik Sienkiewicz. Sie geht davon aus, dass die Widerspruchslösung sich "sehr bald als unzureichendes Mittel erweisen wird", um mehr Organspenden zu erreichen. "Dem Bundesrat sollen rasch konkrete Vorschläge für die Erklärungsregelung vorgelegt werden", sagte sie kath.ch.
Erklärungsregelung soll bewusste Stellungnahme ermöglichen
Die Erklärungsregelung sei eine Ergänzung zur nun beschlossenen Widerspruchslösung. Sie bedeute, dass alle Menschen dazu aufgefordert werden, zur Frage der Organspende Stellung zu nehmen - etwa bei der Ausstellung von Ausweisen, bei der Erneuerung eines Krankenkassenvertrags oder bei der Steuererklärung. Künftig solle zwischen vier Punkten ausgewählt werden können: "Erstens: Ich bin bereit, alle meine Organe oder einen Teil davon zu spenden. Zweitens: Ich erkläre mich nicht dazu bereit, meine Organe zu spenden. Drittens: Ich nehme dazu nicht Stellung. Viertens: Ich übertrage einer Vertrauensperson meine Entscheidung."
Die Bioethik-Komission der Bischofskonferenz erhofft sich durch ein aktives Nachfragen, dass der Wille der spendenden Person besser berücksichtigt wird.
Das Schweizer Ja zur Widerspruchslösung könnte auch die Diskussion in Deutschland neu befeuern. Künftig sind Deutschland, Irland und Litauen damit europaweit die einzigen Länder, in denen die Zustimmungslösung noch gilt.