DOMRADIO.DE: Außenminister Alexander Schallenberg hat am Mittwoch noch mal ausdrücklich betont, dass Österreich neutral bleiben wird. Und auch drei Viertel der Bevölkerung sehen das so. Ist damit die Diskussion abgeschlossen?
Klaus Prömpers (Journalist und Österreich-Experte): Das glaube ich nicht. Denn Österreich manövriert sich ja nun, nachdem Schweden und Finnland der Nato beitreten werden, trotz des noch hinhaltenden Widerstands aus der Türkei, in eine Außenseiterposition innerhalb der Europäischen Union, innerhalb Europas. Und das gleichzeitig in einer Position, in der es wehrmäßig sehr schlecht aussieht, verglichen beispielsweise mit dem wirklich und traditionell lange Neutralen, der Schweiz, die doppelt so viel Geld ausgibt, die ein Milizsystem hat, die sich selber verteidigen kann. Das alles hat Österreich nicht zu bieten.
Und die österreichische Neutralität begründet sich ja auf der Tatsache, dass 1955 die Neutralität von der damaligen Sowjetunion zur Grundlage gemacht wurde für den Abzug aller Truppen der vier Besatzungsmächte Amerika, Frankreich, England und eben der Sowjetunion. Die Sowjetunion forderte die Neutralität Österreichs und die wurde dann in der Verfassung verankert als eine "immerwährende" Neutralität. Und das ist mittlerweile so ein bisschen wie eine Monstranz, die bei einer Fronleichnamsprozession vorne getragen wird. Wo die ganz hinten auch nicht mehr ganz genau wissen: Warum trägt man die Monstranz durch die Felder?
DOMRADIO.DE: Nun fordern 50 österreichische Prominente aber die militärische Neutralität Österreichs zu prüfen, weil sie nicht mehr zeitgemäß sei. Wer ist denn alles dabei und wie breit ist dieses Bündnis?
Prömpers: Das ist ein sehr breites Bündnis, nicht nur von Intellektuellen, sondern teilweise auch von Praktikern, Wissenschaftlern, von der ehemaligen Kandidatin bei der Bundespräsidentschaftswahl Griss, die zuletzt im Hauptberuf die oberste Richterin beim Obersten Gerichtshof gewesen ist. Und viele andere Intellektuelle fordern diese Diskussion. Und sie fordern sie auch deswegen, weil zwar 70% der Österreicher in Abstimmungen sagen, sie sind für die Neutralität, aber da wird nicht sehr differenziert nachgefragt und es wird auch nicht wirklich in Beziehung gesetzt zum beispielsweise mageren Beitrag des Budgets des Landes zur Wehrhaftigkeit.
Der beträgt nur 0,6% des Bruttosozialproduktes, ganz weit entfernt von der Marge, die wir in der NATO haben, von 2%. In nackten Zahlen sind das 2,7 Milliarden Euro. Und man kann im Grunde sagen: Das, was als Bundesheer in Österreich existiert, ist im Grunde ein besserer Katastrophenschutz, mit der Ausnahme, dass etwa 850 Soldaten auch in UNO-Missionen Dienst tun, beispielsweise im Kosovo oder in Bosnien.
DOMRADIO.DE: Was sagen denn die Kirchen oder die Vertreter der Christen? Wie stehen die zu einem möglichen NATO-Beitritt oder eben zur Beibehaltung der militärischen Neutralität Österreichs?
Prömpers: Sie halten sich eher bedeckt, würde ich sagen. Die letzte Äußerung der katholischen Justitia et Pax-Kommission Österreichs liegt 20 Jahre zurück. Damals wurde die Neutralität bekräftigt. In der aktuellen Diskussion haben die Kirchen bisher keinen Beitrag geleistet und sie sind da etwas schüchtern, würde ich vorsichtig sagen. Aber bisher haben sie noch nicht mitbekommen, dass Österreich sich in der Außenseiterposition, in die es jetzt hineinwächst innerhalb Europas, neu positionieren muss und nicht mehr länger, wie die Kritiker der Nicht-Diskussion sagen, als Trittbrettfahrer durch Europa segeln kann.
DOMRADIO.DE: Hält man sich denn eher auch deswegen raus, weil der Papst ja auch eher diplomatisch argumentiert und nach einer möglichen Exitstrategie im Ukraine-Krieg sucht?
Prömpers: Das mag eine Rolle spielen beim einen oder anderen. Aber es ist natürlich auch eine im Grunde andauernde Ungewissheit, die ja jetzt wieder neu diskutiert wird, darüber: Gibt es den gerechten Krieg oder gibt es ihn nicht? Wenn man auf die Militärbischofsämter guckt, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, dann wird man natürlich feststellen müssen, dass dort eher eine gewisse Neigung dazu besteht zu sagen: Das, was unsere Soldaten machen, wenn sie die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen, das ist richtig, das können wir gutheißen, wir verteidigen Freiheit, Demokratie und die Menschenrechte.
Andererseits gibt es natürlich auch Menschen, die nicht ganz unberechtigt sagen: Jede Art von Waffenlieferungen führt nicht automatisch zum Frieden, sondern nur zu weiteren Toten, in der Zivilbevölkerung wie unter den Soldaten. Diese Diskussion wird wahrscheinlich jetzt erneut wieder aufbrechen innerhalb der Kirche. Dass der Papst diplomatisch argumentiert, finde ich, liegt ja wohl eher daran, dass er sich immer noch eine kleine Chance offenhalten will, möglicherweise als Vermittler zu einem zwischenzeitlichen Waffenstillstand zu führen. Aber das ist ja auch mehr als zweifelhaft, ob ihm das gelingen wird in der Antagonist zur orthodoxen Kirche Moskaus und ihrem Vorsitzenden oder Patriarchen Kyrill.
DOMRADIO.DE: Wie ist Österreichs Bundesheer überhaupt aufgestellt? Kann es zur NATO etwas Sinnvolles beitragen?
Prömpers: Im Moment nicht viel. Es gibt eine Unterfinanzierung seit mehreren Jahren, um nicht zu sagen seit einigen Jahrzehnten. Es gibt insgesamt 16.000 Zeit- und Berufssoldaten, circa 7.000 Grundwehrdiener, die sechs Monate lang eingezogen werden zum Bundesheer, die aber danach nicht, wie beispielsweise in der Schweiz, noch mal Reservistendienste machen. Das heißt nach den sechs Monaten sind sie zwar ein bisschen ausgebildet, aber käme es zu einem Ernstfall, müssten sie gänzlich neu wieder ausgebildet werden. Der Betrag, der aufgewendet wird pro Jahr, sind 2,7 Milliarden Euro.
Die Verteidigungsministerin fordert 1,5 Milliarden plus pro Jahr in den nächsten Jahren, unter anderem unter dem Eindruck, dass die Luftverteidigung, die von vier Eurofightern geleistet wird, nicht mehr geleistet werden kann in den nächsten zehn bis 15 Jahren, weil diese Eurofighter einfach zu alt werden. An allen Ecken und Enden klemmt es und es gibt zu wenig von diesem und jenem. Es gibt natürlich lange Zeit keine Marine mehr. Ganz früher gab es immerhin noch Schiffe auf der Donau oder auf anderen Gewässern. Die sind nach und nach eingestellt worden.
Es gibt ein Bundesheer, was im Grunde wirklich im Wesentlichen zum Katastrophenschutz eingesetzt wird und in Zeiten der Flüchtlingswellen 2015 und fortfolgende zum Grenzschutz gegenüber illegalen Grenzübertritten, weil die Grenzpolizei selber da auch zu klein für ist. Österreich ist ein kleines, aber sehr ausgedehntes Land in den Alpen mit einer schwierigen Topografie. Und Beiträge von Österreich für die NATO sind, ganz im Unterschied zu Finnland beispielsweise, da im Moment überhaupt nicht zu erwarten. Aber die Trittbrettfahrerposition, die nach 1950 zwangsweise eingenommen worden ist, müsse überdacht werden, sagen die 50 Unterzeichner des offenen Briefes. Da müsse jetzt eine Diskussion her. So ähnlich wie die Diskussion in Deutschland ja auch erst entstanden ist, nachdem Alice Schwarzer auf der einen Seite ihren Brief veröffentlicht hat und dann ein Gegenbrief von der anderen Seite kam. Seitdem gibt es eine Diskussion darüber: Ist das alles richtig, was wir da machen?
DOMRADIO.DE: Ihre Prognose? Wie geht das aus? Bleibt Österreich militärisch neutral?
Prömpers: Die nächsten Bundeswahlen sind 2024. Bis dahin wird sich das mühsam im Diskussionsprozess voran bewegen. Auf Dauer, glaube ich, werden die Österreicher sich das nicht leisten können. Für die nächsten zwei bis drei Jahre werden sie daran festhalten, weil - wie gesagt - das ist wie ein Glaubenssatz in der Kirche. Und der wird, selbst wenn er historisch bedingt formuliert worden ist, auch nicht von heute auf morgen verändert.
Das Interview führte Dagmar Peters.