DOMRADIO.DE: Wie kann man sich das "Gamen mit Gott" vorstellen?
Hanno Rother (Pfarrer an der Kath. Kirchengemeinde Liebfrauen Recklinghausen alias "Kirchendude"): Gaming ist für viele Menschen Teil des Lebens - für junge Menschen ohnehin, aber es macht auch vor älterem Publikum keinen Halt. Ich selbst bin auch nicht mehr jung. Ich bin mit der ersten mobilen Konsole aufgewachsen, dem Gameboy. Mein Patenonkel hat ihn mir zur Kommunion geschenkt. Das Ding hat mittlerweile einen Kultstatus. Jedenfalls bin ich aus dem Alter eigentlich raus und trotzdem gibt es im Bereich Gaming zahlreiche Angebote für diese zahlungsfähige Kundschaft.
Spiele haben zudem den Anspruch, eine Geschichte zu entfalten und damit auch eine Botschaft weiterzugeben, wie bei Romanen oder Filmen. Es würde sich niemand wundern, wenn ich sage würde: Ich habe mir einen Kinofilm angesehen und nehme daraus eine Botschaft mit, die ich aus einem christlichen Horizont heraus begreifen kann. In gleicher Weise funktioniert das auch beim Gaming.
DOMRADIO.DE: Das heißt, egal, was für ein Spiel ich spiele - es muss gar nichts mit Jesus zu tun haben - ich nehme immer einen spirituellen Impuls mit?
Rother: Nein, immer würde ich nicht sagen. Es gibt auch Spiele, die mich persönlich nicht interessieren, etwa Egoshooter. Da wüsste ich nicht, ob man eine Perspektive mitnimmt, die christlich-spirituell etwas gibt. Aber es gibt durchaus Adventure-Spiele, bei denen ich in Entscheidungssituationen abwägen muss: Was ist jetzt das richtige Handeln? Natürlich kann ich mich immer fragen, was bringt mich im Spiel weiter? Aber ich kann mich auch fragen: Würde ich in Wirklichkeit auch gerne so handeln, wie ich jetzt hier handle? Oder ist mir was zuwider?
Immer dann, wenn ich in eine Geschichte mit hineingenommen werde, die mich anspricht, kann es passieren, dass ich mir Fragen über mein eigenes Leben stelle und warum nicht auch über Gott? Es gibt Spiele, die die Themen Tod oder den Verlust von Angehörigen thematisieren oder Spiele, die mein Verhalten gegenüber der Umwelt in Frage stellen.
Eines der ersten Spiele, die ich gespielt habe, war ein klassisches "Point-and-Click-Adventure". Man erinnert sich vielleicht noch an solche Spiele wie "Monkey Island" oder "Zac McKracken" aus den früheren Zeiten. Die gibt es heute immer noch. In dem Spiel ging es um die Klimakatastrophe mit einem dystopischen Blick aus der Zukunft, in dem aber rückwirkend etwas unternommen werden konnte, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Da kann ich als Christ sehr wohl etwas mit anfangen und kann mir da meine Gedanken zu machen.
DOMRADIO.DE: Wie passen christlicher Glaube und Nerd-Kultur zusammen? Ein Nerd ist ja jemand, der im Prinzip vom PC gar nicht mehr wegkommt.
Rother: Vom PC gar nicht mehr wegkommen ist mit der christlichen Kultur, der Gemeinschaft und der Communio sicher nicht vereinbar. Aber ob die Communio immer nur in der Kirche stattfindet, wenn ich sonntags zum Gottesdienst gehe, würde ich ebenfalls bezweifeln. Es gibt durchaus Spiele, die mich mit anderen zusammenbringen: Online-Community-Spiele, klassische Online-Role-Playing-Games, "World of Warcraft" und so weiter. Das spiele ich selbst gar nicht, aber man kommt da zusammen und spielt Abenteuer miteinander.
Es gibt aber auch Spiele, bei denen Menschen zusammen vor dem gleichen Gerät sitzen, miteinander ein Spiel umsetzen und unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig behandeln. Das können auch sehr kommunikative Aufgaben sein. Ich habe in meiner vorigen Stelle beispielsweise regelmäßig ein Spiel mit SchülerInnen-Gruppen durchgeführt, bei dem es um eine virtuelle Bombenentschärfung ging. Die einen mussten das Handbuch studieren, die anderen die Bombe entschärfen. Dabei musste man miteinander kommunizieren. Das ist eine ganz nette Trainingsmethode. Das Spiel hat mit Gott nicht direkt etwas zu tun, aber es fördert die Kommunikation und Kooperation.
DOMRADIO.DE: Mit Überschriften wie "Gamen mit Gott" oder "Nerds in der Kirche" lockt der Katholikentag Computerspieler und -spielerinnen zu seinen Angeboten. Warum meinen Sie, ist es den Organisatoren des Katholikentags wichtig, der Gaming-Szene ein Forum zu bieten?
Rother: Das Thema Gaming ist so wichtig, weil es ein omnipräsenter Begleiter ist. Ich habe jetzt eher die großen Spiele in den Blick genommen - das ist ein Riesenmarkt, den man nicht verkennen darf. Aber wie viele Spielchen hat man auf seinem Smartphone? Wie viele Schülerinnen und Schüler daddeln mit ihrem Smartphone wahrscheinlich schon, während sie mit dem Bus von der Schule nach Hause fahren? Ich weiß nicht, was da gerade die aktuellen Games sind, aber früher wäre es "Candy Crush" gewesen. Wir sind dauerhaft begleitet von diesen kleinen Spielchen. Da ist mir wichtig, zu schauen: Gibt es da auch einen Mehrwert, den wir aufgreifen und nutzen können?
Es gibt aber auch Spiele, die dezidiert versuchen, Glaubensthemen aufzugreifen. Spiele sind ein Medium. Sie können eine Message transportieren und Menschen ansprechen. Wir haben in der Kirche schon immer Medien der Welt genommen und sie für uns genutzt: in der Malerei, Bildhauerei, Literatur, Filmkunst... Es gibt Filme, die einen christlichen Inhalt haben oder eben auch einfach popkulturelle Filme, die man entsprechend verwendet hat. Warum also nicht auch das Spiel als Medium, das mich noch mehr hineinnimmt als nur als Zuschauer, weil ich die Geschichte interaktiv beeinflussen kann. Ich ziehe Menschen in eine Denkwelt, in eine Erfahrungs- und Erlebniswelt mit hinein. Das kann ich mir durchaus zu Nutze machen. Und selbst wenn ich es mir nicht zu Nutze mache, dann muss ich zumindest reflektieren, was da mit mir passiert.
Das Interview führte Oliver Kelch.