DOMRADIO.DE: Der Gründer des Weltwirtschaftsforums ("World Economic Forum", kurz: WEF) Klaus Schwab sagt, dass das diesjährige Jahrestreffen das aktuellste und wichtigste sei seit der Gründung des Forums vor über 50 Jahren. Das sind große Worte, mit denen man an diese Beratungen herangeht. Was macht das Treffen so anders aus Ihrer Sicht?
Kurt Benedikt Susak (Pfarrer und Dekan der "Katholischen Kirchgemeinde Davos"): In der Tat sind es große Worte. Was ich als Pfarrer jetzt wahrnehme am diesjährigen WEF, ist eine große Besorgnis und auch Ernsthaftigkeit, mit der das Weltwirtschaftsforum vonstatten geht.
Man hat aktuell von vier großen Punkten gesprochen. Dazu gehört selbstverständlich der Ukraine-Krieg als große Krise, auch mit der Sorge, dass sich das Ganze ausweiten könnte. Der zweite Punkt ist die weltweite große Ernährungsproblematik, auf die immer wieder hingewiesen wird. Der Welternährungsdirektor der Vereinten Nationen, David Beasley, hat von einer "Hölle auf Erden" gesprochen. Er hat aufgelistet, was eigentlich der Welt bevorsteht, wenn sich nicht ganz schnell sehr viel verändert. Der dritte Punkt ist der Klimawandel, der als Krise noch einmal in den Fokus gerückt wird. Natürlich auch mit dem deutschen Wirtschaftsminister Habeck wird das besonders unterstrichen. Und der vierte Punkt ist die Inflation, die in ungeahnte Höhen schnellt.
DOMRADIO.DE: Das Treffen wird natürlich überschattet vom Krieg in der Ukraine. Russland ist nicht vertreten in Davos. Stattdessen ist eine große Delegation aus der Ukraine angereist, der ukrainische Präsident wurde für eine Rede zugeschaltet. Zuletzt ist jetzt das Russland-Haus zu einer Ausstellung über russische Kriegsverbrechen geworden. Wie kann man sich das vorstellen?
Susak: In Davos sind die Räumlichkeiten immer an die teilnehmenden Länder oder an die Konzerne vermietet. Und im "russischen Haus", das jetzt dieses Jahr leer ist, hat man dann mit großen Lettern auf die Kriegsverbrechen Russlands hingewiesen.
Ich erlebe da auch eine gespaltene Position bei den westlichen Teilnehmern. Es gibt doch auch Stimmen, die fragen, ob nicht gerade das Weltwirtschaftsforum der Ort gewesen wäre, um wirklich in den Dialog zu gehen. Und dementsprechend sind die Positionen sehr unterschiedlich, auch im Hinblick auf den Ukraine-Krieg.
DOMRADIO.DE: "Geschichte am Wendepunkt" lautet das Motto. Einen Wendepunkt bräuchte es auch dringend, was den menschengemachten Klimawandel angeht. Ist das auch ein großes Thema in Davos?
Susak: Der Klimawandel war schon viele Jahre ein Thema. Es ist jetzt, dieses Jahr, zwar auch ein Thema, aber ich habe den Eindruck, nicht so stark, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war. Natürlich weil es auch ganz andere Konflikte und Probleme gibt und weil die Problematik mit der Ernährungskrise und vielen anderen Punkten so groß ist, rückt das Thema ein wenig von der ersten Position weg.
DOMRADIO.DE: Beim Weltwirtschaftsforum treffen sich die Reichen und Mächtigen dieser Welt. So ist es auch in diesem Jahr. Aber insgesamt könnte man das Gefühl bekommen, dass der Kapitalismus ganz schön unter Druck steht. Gibt es Ihrer Meinung nach Chancen auf ein neues Wertebewusstsein, auch angesichts der vielen Krisen, die wir gerade erleben?
Susak: Ja, es steht sehr vieles auf dem Prüfstand, habe ich den Eindruck. Ein Beispiel ist folgendes: Dieses Jahr dürfen wir wieder in der katholischen Pfarrei in Davos Kardinal Peter Turkson begrüßen. Er überbringt in diesem Jahr das erste Mal keine offizielle Botschaft des Papstes nach Davos. Schon daran spürt man, dass alles recht angespannt und kritisch ist. Diplomatisch muss man vorsichtig sein, man muss intensiver fragen, was sagbar und was nicht sagbar ist.
Diese Anspannung spürt man, man spürt, es neigt sich wirklich etwas dem Ende entgegen. Und die Frage steht im Mittelpunkt, was der Weg in eine gute, gangbare Zukunft sein kann. Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforum, wurde im Vorfeld aufgrund seiner Idee des "Great Resets" sehr angegriffen. Er hat sich daraufhin in der Neuen Zürcher Zeitung verteidigt. Er sagt, die Zukunft machen Sie, die Zukunft machen wir. Und was wollen wir für die Zukunft, welche Grundwerte? Wie soll eine gerechte Welt aussehen?
Das sind schon Themen, die mit einer großen Ernsthaftigkeit in diesem Jahr besprochen und angegangen werden. Das Weltwirtschaftsforum gibt es seit über 50 Jahren und ich hoffe natürlich, dass auch ein Ergebnis spürbar und sichtbar wird. Zu mir hat eine Davoserin gesagt, das Forum gebe es jetzt schon so lange und die Reichen sind immer reicher und die Armen immer ärmer geworden. Hoffen wir mal, dass dieses Jahr etwas Gutes dabei rauskommt. Und wir begleiten das als Kirchen auch mit unserem Gebet, mit einem Pontifikalamt mit dem Kardinal am Sonntagabend in der Marienkirche und auch tagtäglich mit dem ökumenischen Schweigen und Beten abends in der Marienkirche.
Das Interview führte Tobias Fricke.