DOMRADIO.DE: Sie haben das Zentralkomitee der deutschen Katholiken bei seiner Vollversammlung kurz vor Start des Katholikentages aufgefordert, sich beim Thema Missbrauch mehr einzumischen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Kerstin Claus (Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs): In der öffentlichen Wahrnehmung wird häufig reduziert auf "die" katholische Kirche. Ich halte die Stimme der Laien für besonders wichtig bei allen Fragen der Aufarbeitung, für das, was vor Ort passiert, was in den Gemeinden und Bistümern passiert. Insofern ist es mir ein Anliegen, dass auch die Laien, das ZdK, sichtbarer wird - auch im Einfordern einer Rechenschaftspflicht der Bischofskonferenz, zum Beispiel.
DOMRADIO.DE: Den Synodalen Weg haben Sie in diesem Kontext auch angesprochen. Warum hat der für Sie eine Bedeutung?
Claus: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat tatsächlich sehr viel mit Macht zu tun. Insofern geht es bei der Aufarbeitung im katholischen Bereich, wie in allen anderen, um die Frage des Machmissbrauchs, der dem sexuellen Missbrauch vorausgeht. Der Synodale Weg stellt sich ja letztendlich die gleiche Frage: Wie ist Macht in der katholischen Kirche verteilt und wie sollte sie verteilt sein? Insofern halte ich diese beiden Prozesse für miteinander verschränkt und der eine kann nur gut ausgehen, wenn der andere auch gut ausgeht.
DOMRADIO.DE: Das heißt sexueller Missbrauch hat systemische Ursachen, das muss man ganz klar sagen?
Claus: Sexueller Missbrauch hat systemische Ursachen und am Ausgangspunkt stehen Machtfragen. Die Verfügungsgewalt, die jemand nutzt – also wie Macht eingesetzt wird – ist systemisch, weil Macht systemisch verankert ist.
DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Deutsche Bischofskonferenz bewegt, um etwas dagegen zu unternehmen?
Claus: Es ist ja ein langer Prozess. Wir sehen, dass in der katholischen Kirche und vielen anderen Institutionen etwas passiert. Insbesondere seit 2010 sehe ich durchaus, dass sich in der Deutschen Bischofskonferenz viel getan hat. Nicht umsonst konnte die gemeinsame Erklärung mit meinem Vorgänger erarbeitet und eben auch unterzeichnet werden.
Es ist immer die Frage: Was könnte schneller gehen? Welche Prozesse könnten mit mehr Ressourcen, mehr externer Fachlichkeit ausgestattet werden? Und wie gelingt es jetzt, wo man weiß, dass Aufarbeitung externe Begleitung braucht, diese politisch aber auch im Sinne der Stärkung der Freiwilligkeit zu verankern im Prozess, sodass wir mehr Verbindlichkeit bekommen.
DOMRADIO.DE: In der katholischen Kirche gibt es heftigen Streit zwischen verschiedenen politischen Fronten. Ist das auch eine Gefahr für die Aufarbeitung?
Claus: Aufarbeitung braucht einen klaren Fokus und der sollte bei den Betroffenen liegen. Wenn es um die Belange von Betroffenen geht im Prozess der Aufarbeitung, dass sichtbar wird, was nicht sichtbar werden konnte, als sich die Taten ereignet haben, was vertuscht wurde, wo Menschen nicht reagiert haben. Wenn man aus dieser Perspektive schaut: Im Mittelpunkt sollten die Interessen der Betroffenen stehen. Das muss der Motor sein. Hier ist das ZdK aus meiner Perspektive wichtig, die Betroffenen zu verstärken. Und auch in der Bischofskonferenz muss immer wieder ankommen: Es geht um die Belange der Betroffenen. Dahinter haben eigene Positionen und interner Streit zurückzustehen.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die Aufarbeitung von den Laien?
Claus: Ich möchte, dass die Laien in der katholischen Kirche sichtbar werden in der Debatte um die Aufarbeitung. Das heißt mit einem klaren Profil gegenüber der Bischofskonferenz und einer klaren Erwartungshaltung und einem Nachhalten. Aber natürlich auch mit Blick auf die Politik. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, man wolle die Aufarbeitung stärken. Das muss jetzt konkret ausgestaltet werden. Auch hier würde ich mich über eine Stärkung der Aufarbeitung auch gefordert von Seiten des ZdK freuen.
Das Interview führte Johannes Schröer.