Besucher und Passanten, die sich in der Stuttgarter Innenstadt zwischen den Zeltpavillons des Katholikentags hindurchschlängeln, kommen am Thema Missbrauch kaum vorbei.
Sie stoßen auf Infos, Impulse auf Bühnen, auch auf Aktivisten, die etwa einen satirischen Ablassbrief verteilen. Dazu bietet das offizielle Programm Debatten, Werkstätten, Gebete oder Gesprächsrunden zum Thema. Die meisten Besucher wollen Glaubensgemeinschaft erleben, zeigen sich auf "ihre Kirche" aber durchaus wütend. Das Stichwort Missbrauch fällt immer wieder, ebenso wie Klagen über eine als unzureichend empfundene Aufarbeitung.
Aufarbeitung wird kritisiert
Der scheidende Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, ist sich sicher: Das Thema Missbrauch und die Frage nach Aufarbeitung werden die katholische Kirche noch lange beschäftigen. Je weiter die Aufarbeitung voranschreite, desto mehr Facetten von Missbrauch würden aufgedeckt, gibt er zu bedenken.Ausdrücklich mahnte er in einer Diskussion mit Experten, das Thema nicht voreilig abschließen zu wollen.
Der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, sprach sich für mehr Verbindlichkeit und einen stärkeren Bezug zur Politik aus. Ergebnisse der Aufarbeitungskommissionen sollten im Bundestag diskutiert werden, forderte er.
Wie kann Aufarbeitung gelingen?
Doch was bedeutet gelungene Aufarbeitung? Betroffene sollten sich in der Gesellschaft wieder angenommen fühlen, betonte die unabhängige Opferschutzanwältin der katholischen Kirche Österreichs, Waltraud Klasnic. Ähnlich äußerte sich der Vorstand des Vereins Ettaler Missbrauchsopfer, Robert Köhler. Mit einem Gutachten sei Aufarbeitung nicht getan. "Die Betroffenen werden Sie nie los", sagte er in Richtung Ackermann und schlug abseits aller Gutachten eine kirchliche Erinnerungskultur vor. Betroffene sollten sich am Ort der Tat angenommen fühlen können.
Jesuitenpater Klaus Mertes hingegen formuliert als Ziel von Aufarbeitung, "einen Punkt zu erreichen, von dem aus man nach vorne schauen kann". Das werde nicht alle zufrieden stellen, sagte er und betonte: "Man muss Betroffenen auch zugestehen, dass sie ein Leben lang unzufrieden sind."
Indes ist noch offen, wie sich die Bischöfe künftig bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt aufstellen wollen. Mitte Mai hatte Ackermann angekündigt, dass er das Amt des Missbrauchsbeauftragten nach zwölf Jahren im September abgeben wird. Auch die Aufarbeitung wollen die Bischöfe dann neu organisieren.
Hilfe von außen als Lösung?
Unterdessen äußerten Teilnehmer eines anderen Podiums wenig Hoffnung auf eine flächendeckende Aufarbeitung und eine Änderung des kirchlichen Systems. "Wenn wir überhaupt eine Chance haben, dann nur mit der Hilfe von außen", meinte Theologe Peter Hundertmark aus Speyer.
Dennoch setzen manche Betroffene weiter auf einen Wandel des Systems.
Betroffene berichtet
In der Fußgängerzone berichtete Johanna Beck, Mitglied des Betroffenenbeirats der Bischofskonferenz, persönlich und nahbar von ihrer Missbrauchserfahrung in der Kirche - und über ihre Motivation, trotz neuer Frustration und wiederkehrenden Ärgers weiter für Veränderungen zu kämpfen. Sie wünsche sich, "dass diese Kirche sich in Zukunft so gestaltet und verändert, dass jemand wie ich bleiben kann".
Wenige Meter entfernt setzten ihre Kollegen des Betroffenenbeirat ein Zeichen des Protestes - und inszenieren den eigenen Stand als geschlossene Baustelle. Planen verhängen die Eingänge, dazu Baustellenschilder und Warnungen. Die katholische Kirche baue noch immer an der Betroffenenarbeit. Zum Punkt "Fertigstellung" heißt es: "Dauert noch!!! (die Kirche rechnet ja in Ewigkeiten ...)".
Proteste gegen Kirche sichtbar
Am Rande des Katholikentags-Trubels symbolisiert ein Karnevalswagen Protest und Frust: Schlafend schaukelt ein Bischof in einer Hängematte, die zwischen zwei brechenden Kreuzen gespannt ist. Dazu der Schriftzug: "12 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle!".