DOMRADIO.DE: Sie sind in Stuttgart aufgewachsen. Wie war es für Sie, hier beim Katholikentag zu sein?
Frère Alois (Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé): Es ist eine große Freude, dass ich hier sein kann. Ich begegne vielen Menschen, denen ich schon in Taizé begegnet bin. Auch die Mitbrüder freuen sich, dass wir die Menschen nicht nur in Taizé empfangen können, sondern vor Ort begleiten können und in ihre Heimatkirche mitgehen - jetzt eben hier in Stuttgart.
DOMRADIO.DE: Taizé ist auf dem Katholikentag unter anderem bei der "Nacht der Lichter“ vertreten. Was bedeutet Ihnen das gemeinsame Singen und Beten, auch im Zeichen der Ökumene?
Frère Alois: Es ist ein Zeichen der Ökumene im weiten Sinne, ein Zeichen der Einheit, dass wir in Christus Gemeinschaft finden. Das ist keine abgehobene Spiritualität, sondern eine Notwendigkeit in unserer Welt, wo immer mehr Trennungen sichtbar werden: in der Gesellschaft, der Krieg in der Ukraine, aber auch Trennungen in den Kirchen, wenn wir etwa an die orthodoxen Christen denken. Es braucht Momente und Räume des Aufatmens und der Einheit, die wir nur in Christus finden.
DOMRADIO.DE: Das Motto des 102. Katholikentags lautet "Leben teilen“. Was verbinden Sie damit?
Frère Alois: Das ist quasi das Lebensprogramm unserer Communauté. Wir sind über 90 Brüder aus über 30 verschiedenen Ländern. Das Leben zu teilen bedeutet, den Anderen akzeptieren als Anderen. Es bedeutet, dass wir einen gemeinsamen Weg gehen können mit unseren Unterschiedlichkeiten und dass wir voneinander lernen.
DOMRADIO.DE: Besonders bei jungen Menschen ist Taizé sehr beliebt. Wie kann Kirche die junge Zielgruppe wieder ansprechen und gesellschaftrelevanter werden?
Frère Alois: Wir haben in Taizé für diese schwierige Fragen keine Lösungen. Das ist eine allgemeine, tiefe Entwicklung in ganz Europa, nicht nur in Deutschland. Auch in Ländern wie Polen, das traditionell sehr katholisch ist, gibt es einen Abbruch der Teilnahme von Jugendlichen. Wir müssen versuchen dieses Phänomen besser zu verstehen. Denn gleichzeitig gibt es eine Sinnsuche: Was ist der Sinn des Lebens? Was gibt meinem Leben Sinn? Und wir merken, dass der Konsum allein nicht den Sinn geben kann. Der Sinn meines Lebens kann nur geschenkt werden – den kann man nicht konstruieren. Er kann nur von außen kommen: von der Liebe anderer Menschen, aber auch von Gott. Diese Sinnsuche müssen wir vielleicht wieder ganz neu angehen.
DOMRADIO.DE: Im aktuellen Ukrainekrieg spielt die Kirche auch eine Rolle, im Hinblick auf die Verbundenheit von Putin und Kyrill l. etwa sowie mit Blick auf die Trennung der ukrainisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat. Wie kann da Dialog und Einheit möglich sein?
Frère Alois: Ich glaube im Moment ist es wichtig, dass wir alle persönlichen Kontakte aufrechterhalten. Drei unserer Brüder waren gerade in der Ukraine, in Lwiw und in Kiew. Sie haben dort Menschen besucht, die wir kennen, aber auch verschiedene Kirchenverantwortliche getroffen, um die Situation vor Ort besser zu verstehen und den Menschen in diesem schrecklichen Krieg beizustehen. Wenn wir im Gespräch miteinander bleiben, werden wir Wege finden, wie echte Gemeinschaft möglich ist – auch in diesen schweren Zeiten.
DOMRADIO.DE: Sollte der Papst sich da nicht konkreter gegen den Agressor positionieren?
Frère Alois: Der Papst hat zur russisch-orthodoxen Kirche kritisch Stellung bezogen und es ist wichtig, dass wir alle jetzt auf der Seite derer stehen, die Unrecht erleiden.
Das Interview führte Elena Hong.