Sie seien nur "ein erster Schritt, ein Beweismittel für eine Urteilsfindung", sagte Mertes dem Online-Portal kirche-und-leben.de aus Münster.
Die vom Bistum Münster gewählte "historische Rekonstruktion" weite dagegen über das individuelle Versagen von Verantwortlichen hinaus "stärker den Blick auf die systemischen, gesellschaftlichen, kulturellen Kontexte, in denen Versagen, mangelndes Problembewusstsein oder schuldhaftes Wegsehen und Strafvereitelung stattgefunden haben".
Studie in Münster wird demnächst veröffentlicht
Mertes, der 2010 als damaliger Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin wesentlich den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche bekannt gemacht hatte, äußerte sich wenige Tage vor Veröffentlichung einer Aufarbeitungsstudie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Münster. Die Studie wird am Montag von Forschenden der Universität Münster präsentiert. Die Diözese hatte die am 1. Oktober 2019 begonnene Untersuchung in Auftrag gegeben.
Laut Mertes hat bereits das Zwischenergebnis der Münsteraner Studie im Dezember 2020 darauf hingewiesen, dass es Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker nicht nur in den Bistumsleitungen, sondern auch in Gemeinden und in der staatlichen Strafverfolgung gegeben habe.
Mertes wirbt für Reformen in der Kirche
Im Missbrauchskomplex am Berliner Canisiuskolleg habe der Haupttäter sadistische Prügelstrafen auf den nackten Hintern praktiziert und bei allen Schülern ganz selbstverständlich den Spitznamen "Pater Pavian" gehabt. "Alle wissen etwas", betonte Mertes. "Und selbst wenn das jemand begründet abstreitet, kann das dennoch nicht die Legitimation dafür sein zu meinen, man hätte nichts damit zu tun."
Nach den Worten des Jesuiten bedarf es auch unabhängig der Missbrauchsfälle Reformen in der Kirche. Die katholische Sexualmoral sei mit Blick auf Homosexualität auch dann diskriminierend, wenn es keinen Missbrauch gäbe. Dies gelte auch für die Einführung einer disziplinarischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, da Institutionsversagen nie auszuschließen sei.
Und die Stellung der Frau in der Kirche sei keine funktionale Frage im Missbrauchs- und Macht-Komplex, zumal es auch sexualisierte Gewalt durch Frauen gebe. "Die Gleichstellung von Mann und Frau hängt schlichtweg mit der gleichen Würde von Mann und Frau zusammen", sagte der Jesuit.