DOMRADIO.DE: In Deutschland steigen die Preise im Supermarkt. Wie sieht es in den ärmsten Ländern der Welt aus?
Pater Claus Pfuff (Direktor des Jesuiten-Flüchtlingssdienstes in Deutschland): Dort steigen die Lebensmittelpreise auch. Aber dort kommt erschwerend hinzu, dass bestimmte Lebensmittel nicht mehr geliefert werden. Das ist anders als bei uns, weil wir auf andere Lebensmittel ausweichen können, indem wir ein anderes Öl oder Mehl kaufen. In ärmeren Ländern gibt es dagegen viel weniger Auswahl.
Wir müssen uns vor Augen halten, dass derzeit viele dieser Preiserhöhungen vor allem durch Spekulation auf Lebensmittel erzeugt werden und nicht durch wirkliche Lebensmittelknappheit. Ich denke, das wird sich für diese Länder noch drastisch auswirken bis hin, dass Menschen hungern werden.
DOMRADIO.DE: Sind das die dramatischsten Folgen in diesen Ländern?
Pfuff: Diese hohen Preise treffen auch dort besonders die Armen, sodass dort gerade die Grundversorgung in Gefahr ist. In den Flüchtlingslagern im Jemen wurden bereits die Kalorienmengen herunter gesetzt. Das heißt, dass vor allem Kinder Hunger haben und neue Krankheiten auftreten.
Oder zum Beispiel auf dem Balkan: Dort entstehen neue Konflikte aus Angst, dass die knappen Lebensmittel nicht mehr für die Bevölkerung und die Fremden ausreichen, die dort an den Grenzen zu Europa sitzen. So werden die Preise weiter in die Höhe getrieben.
Gleichzeitig wäre das eine Gelegenheit, unser Wirtschaftssystem zu überdenken. Ist es gut, durch Lebensmittelüberproduktion und dadurch mit Dumpingpreisen lokale Märkte zu zerstören, wie es in der Vergangenheit geschehen ist? Oder wären vielleicht auch gerechte Preise und regionaler Anbau nicht längerfristig nachhaltiger?
Zum Beispiel haben die Menschen in Indonesien während der Coronavirus-Pandemie wieder Sago angebaut und sind dadurch unabhängiger von ausländischen Reislieferungen geworden. Ich denke, das wäre auch eine Chance.
DOMRADIO.DE: Offensichtlich ist es das Kalkül des russischen Präsidenten Putin, Nahrungsmittel zu verknappen. Das treibt die Menschen in die Flucht, was wiederum auf die Politik in Europa Auswirkungen hat. Wie kann Europa auf dieses Dilemma angemessen reagieren?
Pfuff: Ja, das ist ein großes Dilemma. Menschen werden sich verstärkt auf die Flucht begeben. Das ist nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine so. Vielmehr treiben auch Umweltkatastrophen, gerade auch Dürren in Afrika oder mangelnde Zukunftsperspektiven in korrupten Systemen die Menschen zur Flucht. Wir merken, dass wir nicht auf einer Insel der Glückseligen abgeschottet sind, sondern wir sind selber Teil eines Systems. Menschen werden verstärkt versuchen, in die EU zu kommen, koste es, was es wolle.
Die Politik setzt auf Abschottung und Ausgrenzung. Wir merken aber letztlich, dass diese Abschottung gar nichts hilft. Wir tolerieren Pushbacks im Mittelmeer und merken aber, dass die Leute nach wie vor kommen. Wenn Menschen in der Heimat keine Überlebenschancen haben, dann nutzen sie jeden Strohhalm.
Ich denke, dass es wichtig wäre, statt Abschottung unsere Wirtschaftspolitik zu überdenken. Wie lange wollen wir auf Kosten anderer leben? Helfen wir Menschen, eigenständig in ihrer Heimat zu leben? Vielleicht wäre es auch gut, Entwicklungen in der Landwirtschaft zu schaffen, faire Preise zu zahlen und nicht die Menschen als Entsorgungsmarkt für unsere Überschüsse zu nutzen.
DOMRADIO.DE: Sie als Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland haben ja die Motivation, den Flüchtlingen aktiv zu helfen. Ist das nicht auch eine Last?
Pfuff: Ich sehe es nicht als Last. Schon allein von unserem christlichen Menschenbild her ist jeder Mensch von Gott einmalig geschaffen und hat Gaben geschenkt bekommen, mit denen er andere beschenken kann und die wir brauchen. Ich sehe es eher als Verbrechen an, wenn wir als Christen dieses Geschenk nicht nutzen. Ich sehe das auch als gesellschaftlichen Auftrag: Deutschland braucht Zuzug, das wissen wir alle.
Es kommen junge Menschen mit Fähigkeiten. Aber wir nutzen dieses Geschenk nicht, weil unsere Strukturen sie ausbremsen und behindern.
Ich denke, es wäre Zeit, unseren Blick auf diese Menschen zu ändern. Schon allein, wie wir über sie sprechen. Es wäre gut, wenn wir Voraussetzungen für Integration und vor allem für Teilnahme und Teilhabe an unserem gesellschaftlichen Leben schaffen würden. Dazu möchte ich auch viele Menschen ermutigen, sich auf diesen Weg einzulassen, das für sich selbst zu entdecken und so auch unsere Gesellschaft zu bereichern.
Das Interview führte Bernd Hamer.