Caritas sieht Bedarf bei der Erhöhung von Sozialhilfen

"Herbst und Winter kommen erst noch"

Das Krisentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt ohne Ergebnisse. Doch wie ist die dreifache Krise aus Klima, Krieg und Pandemie zu bewältigen? Es braucht verschiedene Ansätze, sagt Claire Vogt, Sozialrechtsexpertin der Caritas.

Eine Frau beim Einkaufen im Supermarkt / © Drazen Zigic (shutterstock)
Eine Frau beim Einkaufen im Supermarkt / © Drazen Zigic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert angesichts steigender Preise und hoher Inflationsrate an den "Geist der Gemeinsamkeit" in Deutschland. "Wir stehen vor einer historischen Herausforderung", sagte er am Montag in Berlin nach Beginn der als "konzertierte Aktion" titulierten Beratungen von Regierung, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden über die schwierige Lage. Doch es gibt erst mal keine Ergebnisse. Diese haben Kanzler, Gewerkschaften und Arbeitgeber erst für den Herbst angekündigt. Wie sinnvoll fanden Sie das Treffen?

Clarie Vogt (Sozialrechtsexpertin beim Deutschen Caritasverband): Auf jeden Fall ist es richtig, dass man sich den Herausforderungen stellt, die jetzt anstehen und zum Teil die Bevölkerung schon ganz unmittelbar treffen. Es ist auf jeden Fall gut, dass man das anpackt.

DOMRADIO.DE: Arbeitgeber und Gewerkschaften setzen auf weitere staatliche Hilfen, um die Folgen der Inflation abzufedern. Wie könnten solche Hilfen aussehen, damit das Geld im Portemonnaie nicht immer weniger und weniger wird?

Claire Vogt (Sozialrechtsexpertin beim Deutschen Caritasverband)

"Das ist sicher etwas, was dabei hilft die großen Löcher zum Teil jedenfalls schon mal zu stopfen."

Vogt: Da braucht es, denke ich, verschiedene Ansätze. Zum einen müssen die Regelbedarfe angepasst werden. Das ist eher eine langfristige Maßnahme. Zum anderen braucht es auch unmittelbare Hilfen, die als Überbrückung dienen können, wie zum Beispiel die beschlossenen Einmalzahlungen. Das ist sicher etwas, was dabei hilft, die großen Löcher zum Teil jedenfalls schon mal zu stopfen.

DOMRADIO.DE: Wie kann der Staat das finanziell stemmen?

Vogt: Es war auch Geld für Benzinpreissenkungen vorhanden. Es gibt Geld aus dem Wegfall der Energiekostenumlage. Es wird die CO2-Bepreisung geben. Auch das sind Mittel, die man nutzen kann.

DOMRADIO.DE: Alle sagen, dass im Herbst und Winter eine große Krise auf uns zukommt. Die Energiekosten werden auf ein noch nie dagewesenes Niveau steigen. Für viele wird es sicher schwierig mit der Nachzahlung nächstes Jahr. Was müsste da geschehen?

Vogt: Auch da gibt es verschiedene Wege. Man kann auch Haushalte präventiv unterstützen, zum Beispiel mit einer Energiespar-Beratung. Die Caritas hat schon seit Jahren das Projekt "Stromspar-Check", bei dem Langzeitarbeitslose zu Energieberatern ausgebildet werden. Die gehen direkt in die Haushalte und beraten die Menschen dort.

Wir haben da eine super Bilanz. Die Haushalte sparen unmittelbar Geld und auch Bund und Kommunen sparen über diese Kosten der Unterkunft. Das ist auf jeden Fall ein Weg, mit dem man helfen kann. Bei den Heizkosten muss sicher auch noch mal unterstützt werden, denn Herbst und Winter kommen ja erst.

Die Koalition will Menschen mit 300 Euro Energiepreispauschale entlasten / © Hauke-Christian Dittrich (dpa)
Die Koalition will Menschen mit 300 Euro Energiepreispauschale entlasten / © Hauke-Christian Dittrich ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ihre Kollegen von der Caritas in Münster haben schon zu Beginn des Jahres eine drastische Erhöhung der Hartz IV-Sätze gefordert. Wie nachhaltig wäre das als Lösung der Probleme?

Vogt: Es ist dringend angezeigt, dass die Regelbedarfe erhöht werden. Der Stromanteil ist schon seit Jahren zu niedrig und muss unbedingt neu bemessen werden. Auch die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und anderen Verbrauchsgütern können mit dieser aktuellen Berechnungsformel nicht zeitnah abgebildet werden. Die nächste Erhöhung kommt erst 2023 und das ist zu spät.

Auch beim Wohngeld und beim BAföG müssen die Energiepreissteigerungen angemessen berücksichtigt werden. Da ist auf jeden Fall der Gesetzgeber aufgefordert zu handeln.

DOMRADIO.DE: Haben Sie den Eindruck, dass Olaf Scholz und die Menschen, die sich da zusammengesetzt haben, genügend auf dem Schirm haben, was diese Dreifachkrise, Klima, Krieg und Pandemie für die Ärmsten in Deutschland bedeutet?

Vogt: Auf jeden Fall ist es jetzt mehr im Fokus, als es in den vergangenen Jahren schon war, dass sich solche gerade auch klimapolitischen Auswirkungen, die es ja auch sind, unmittelbar sozial auswirken. Dass man diese Gruppe mehr auf dem Schirm hat als die Vorgängerregierung, lässt hoffen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
DR