Kurienkardinal Tagle spricht Anglikanern Mut zum Träumen zu

Anglikaner-Primas Welby sieht Neustart in der Ökumene

Bei der anglikanischen Lambeth-Konferenz genießen katholische Gäste hohe Wertschätzung. Nach dem päpstlichen "Ökumeneminister" Kurt Koch kam am Samstag Kurienkardinal Tagle zu Wort. Und erhielt stehende Ovationen.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle, Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, spricht bei der Lambeth-Konferenz / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle, Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, spricht bei der Lambeth-Konferenz / © Sabine Kleyboldt ( KNA )

Er könne leider nicht in die Zukunft blicken, bittet Kurienkardinal Luis Tagle die anglikanischen Bischöfe in Canterbury um Nachsicht. Schon mit dieser Bemerkung gewinnt der Chef der vatikanischen Missionskongregation die Sympathie der Delegierten der 15. Lambeth-Konferenz, vor denen er am Samstag über das Thema "The Decade ahead - die nächste Dekade" sprechen soll. Anglikaner-Primas Erzbischof Justin Welby hatte den philippinischen Kardinal persönlich zu der Bischofsversammlung eingeladen, die zuletzt 2008 stattfand.

Traum vom gemeinsamen spirituellen Haus

"Liebe Freunde, Schwestern und Brüder in Jesus, Grüße von Freude und Frieden!", richtete sich Tagle an die rund 650 Bischöfe und Bischöfinnen sowie ihre 480 mitgereisten Ehepartner. In seiner Rede ermutigt er die Christen, gemeinsam ein Haus für die Menschheitsfamilie zu bauen. Dazu müssten die jeweiligen kulturellen Unterschiede und Eigenheiten gewürdigt werden, so der Leiter der Missionskongregation des Vatikan.

"Ich sehne mich nach einem spirituellen Haus; ich träume von diesem Haus für die Kirche, die Menschheitsfamilie und die Schöpfung. Lasst uns gemeinsam träumen", so Tagle, der seit 2012 Kardinal ist und als enger Vertrauter von Papst Franziskus gilt. Diesen zitiert er mehrfach, etwa dessen fortdauernden Ruf nach einer "pilgernden Kirche". Er stelle sich eine Kirche vor, die spirituelle Heimat sei für eine "Gemeinschaft von Reisenden", führt Tagle das Bild aus. Und verweist eindringlich auf die Notwendigkeit, dass die Kirchen gemeinsam für Betroffene eintreten: Vertriebene, Geflüchtete, Opfer von Sklaverei, Menschenhandel, von Vorurteilen, systematischer Verfolgung, Kriegen und insbesondere Umweltkatastrophen und dem Klimawandel.

Probleme für Gegenwart und Zukunft

"Wie gehen wir als Kirche und als Menschheitsfamilie mit den Millionen Heimatlosen um?", fragt Tagle. "Finden sie bei uns Gastfreundschaft und Mitgefühl?" Eine Grundsatzfrage sei, wie man jene betrachte und behandle, "die anders als wir sind". Er bekenne "mit Traurigkeit", dass selbst in der Kirche ethnische und kulturelle Ressentiments bestehen.

In einem Flüchtlingscamp habe er Menschen getroffen, die ihre Länder verlassen hätten auf der Flucht vor Armut und Krieg und auf dem Weg "zu einem Traum von Sicherheit und Zukunft für ihre Kinder". Aber: "Was kommt in der nächsten Dekade, wo wir schon jetzt Kinder sehen, die traumatisiert sind durch Gewalt, Vernachlässigung, Kriege und Missbrauch", fragt Tagle.

Weiter geißelt er den wachsenden Populismus, vor dem auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" warnt. Populisten versuchten, "unsere Menschheitsfamilie zu unterminieren", warnt der 65-Jährige. Umso wichtiger sei es, dass auch die pastorale Führung der Kirche sich dessen bewusst sei und "kulturelle Intelligenz" einsetze, ohne Überheblichkeit und Vorurteile, sondern mit Demut und Feingefühl. Auch Christus habe eine Kirche gewollt, die Heimat für Fremde, Einsame und Ausgestoßene ist.

Was Kirche sein kann

Wie wörtlich das manche nehmen, schildert Tagle in einem Erlebnis aus seiner Zeit als Erzbischof von Manila: Bei einem Sommercamp wollten Jugendliche Selfies und Autogramme von ihm. Ein Junge ließ sich sogar sein T-Shirt signieren. "Was sehen die in mir? Einen Bischof, einen Schauspieler?", habe er sich damals gefragt.

Die Antwort kam ein Jahr später, wieder in einem Jugendcamp: "Ein junger Mann kam auf mich zu und sagte: Sie haben mein T-Shirt signiert! Ich habe es seitdem nicht mehr gewaschen", berichtet der Kardinal unter dem Schmunzeln des Publikums. Dann habe der junge Mann hinzugefügt: "Jede Nacht lege ich es unter mein Kissen. Ich habe meinen Vater seit Jahren nicht gesehen, weil er im Ausland Geld verdienen muss. Aber mit dem Shirt, das Sie unterschrieben haben, weiß ich, ich habe immer eine Familie in der Kirche." Und Tagle ergänzt: "So wird das Evangelium durch ein Shirt verkündet, das ein Bischof unterschrieben hat für einen Jungen, der sich nach einer Familie sehnt." Am Ende erhält er langen Beifall und stehende Ovationen. Anglikaner-Primas Welby zog unterdessen eine erste Bilanz: Die Lambeth-Konferenz habe einen Neustart in der Ökumene gebracht.

Anglikanische Kirche

Die anglikanische Kirche entstand zur Zeit der Reformation in England. König Heinrich VIII. brach 1533 mit dem Papst, weil dieser sich weigerte, die Ehe des Königs zu annullieren. Als Oberhaupt einer neuen Staatskirche setzte sich Heinrich VIII. 1534 selbst ein. In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst bei der katholischen Lehre; später setzten sich protestantische Einflüsse durch. 1549 erschien das erste anglikanische Glaubensbuch, das «Book of Common Prayer».

Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel (epd)
Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel ( epd )
Quelle:
KNA