In der Debatte über soziale Gerechtigkeit wendet sich der Sozialverband Deutschland (SoVD) gegen ein Herbeireden von möglichen sozialen Unruhen. "Schreckensszenarien zu verbreiten, ist wenig konstruktiv und nicht hilfreich. Ganz im Gegenteil", betonte SoVD-Präsident Adolf Bauer am Samstag in Berlin.
Immer wieder werden Befürchtungen laut, es könne wegen der Inflation und der Gaspreise zu Unruhen kommen. Jüngst hatte der Historiker Heinrich August Winkler der "Bild"-Zeitung auf die Frage, ob er Aufstände und Unruhen wie in der Weimarer Republik befürchte, gesagt: "Wie stark eine Demokratie ist, erweist sich erst, wenn die Wirtschaft einmal nicht mehr wächst. Dann zeigt sich auch, was wir aus der Geschichte gelernt haben. Und wie führungsstark unsere Politiker agieren. Die größte Bewährungsprobe unserer Demokratie steht uns womöglich noch bevor."
Scholz setzt auf Sozialstaat
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen hatte erklärt, er rechne nicht mit massiven gesellschaftlichen Verwerfungen aufgrund von hohen Energie- oder Lebensmittelpreisen. Grund sei, dass es sich bei Deutschland um einen Sozialstaat handle.
Am Samstag betonte Scholz in einer Videobotschaft, dass die Regierung dafür sorge, dass alle Menschen durch diese "schwierige Zeit" kämen. "Denn viele haben sehr wenig Geld. Viele verdienen ganz normal, aber müssen trotzdem sehr genau rechnen, ob das alles klappt für die Familie und den eigenen Haushalt."
Daher seien zwei "große Entlastungspakete" mit 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht worden. "Manche der Unterstützungsleistungen sind noch gar nicht angekommen. Im September zum Beispiel wird es die Energiepreisprämie geben. Aber wir werden da nicht stehen bleiben, sondern es wird weitere Entlastungen geben." Scholz beschwor einen Zusammenhalt unter den Menschen.
Steuerpläne von Finanzminister
Der SoVD betonte, dass die Diskussion rund um die Steuerpläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zeigten, "dass wir sehr dringend eine ernsthafte Debatte über soziale Gerechtigkeit und die Umverteilung von Vermögen führen müssen".
Von Verbandsmitgliedern sei zu hören, dass die finanziellen Sorgen und Nöte immer größer würden. "Wenn ich dann aber höre, dass Finanzminister Christian Lindner sein Steuerentlastungsprogramm für sozial ausgewogen hält, bin ich nur noch sprachlos. Ein Entlastungspaket, bei dem 70 Prozent der Entlastungen den 30 Prozent mit dem höchsten Einkommen zu Gute kommen, ist ein Schlag ins Gesicht für Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende sowie viele andere Menschen."
Caritas bietet Hilfen an
Die Caritas verzeichnet schon vor dem Winter eine deutlich höhere Nachfrage nach Beratungen zum Thema Energie- und Mietschulden. "Das berichtet ein Drittel unserer Beratungsstellen", sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Als Hilfe biete die Caritas zum Beispiel einen "Stromspar-Check" an, bei dem Menschen, die Transferleistungen bekommen, sich in ihrem Haushalt kostenlos beraten lassen können, wie sie Energie bei Strom und Heizung sparen. Auch die Kommunen hätten großes Interesse, dass dieses Angebot ausgeweitet werde.
Ab Oktober müssen Verbraucher damit rechnen, dass sich der Gaspreis deutlich erhöht, weil die Unternehmen dann Mehrkosten an sie weiterreichen können. "Menschen mit kleinen Einkommen werden die Strom- und Gasrechnung schlicht nicht zahlen können", befürchtet Welskop-Deffaa. "Es muss deshalb geregelt werden, dass es in dieser Notlage keine Strom- und Gassperren geben wird - egal, ob die Menschen ein, zwei, drei oder vier Monate im Rückstand sind."