Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe sucht der "Verein Sterbehilfe" nach Ärzten in Deutschland, die sterbewillige Menschen beraten und die für eine Suizidbeihilfe notwendigen Gutachten erstellen. Dazu hat der Verein im "Deutschen Ärzteblatt" am 8. August eine Anzeige geschaltet.
Gesucht würden Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die regional und überregional psychiatrische Gutachten erstellen und dazu die sterbewilligen Mitglieder zu Hause besuchen könnten, heißt es darin. "Gerade für Ärztinnen und Ärzte, die nicht (mehr) in Vollzeit arbeiten, könnte diese Aufgabe interessant sein".
Geboten wird laut Anzeige ein "adäquates Honorar in Form einer Pauschalvergütung samt Auslagenerstattung für eine Erst- und Nachbegutachtung". Grundlegende Voraussetzung für diese Tätigkeit sei "eine fundierte und konsequente Orientierung an der deutschen Rechtsordnung und am eigenen ärztlichen Ethos".
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Zugleich formulierten die Karlsruher Richter ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben - und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Dazu könne auch die Hilfe Dritter in Anspruch genommen werden. Damit haben sie grundsätzlich die Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen zugelassen.
Die Deutsche Palliativstiftung reagierte bestürzt auf die Stellenanzeige. Sie zeige, dass eine Beihilfe zum Suizid vielfach bereits als ein völlig normaler Vorgang gesehen werden, erklärte der Vorstandsvorsitzende Thomas Sitte. "Wir befinden uns auf der Schiefen Ebene." Aber Ärztinnen und Ärzte seien verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es nicht ganz so schnell bergab geht.
Sitte verwies darauf, dass laut Anzeige bereits jetzt 45 erfahrene Ärztinnen und Ärzte für den Verein Gutachten zur Tötungshilfe stellten. "Und diese 45 Kolleg*innen reichen nicht mehr aus. Das ist genau die Normalisierung der Tötungshilfe, sei es aktuell in Form des (ärztlich) assistierten Suizides, sei es vermutlich in Kürze in Form der Tötung auf Verlangen und danach der Mitleidstötung, vor denen die PalliativStiftung in allen Stellungnahmen immer wieder gewarnt hat", erklärte er.
Kritik übte er am "Deutschen Ärzteblatt": Zwar seien solche Anzeigen wohl rechtlich zulässig und daher kaum zurückzuweisen. Wohl aber könne man die Anzeige "in einen kommentierenden Kontext" stellen. Der Deutsche Ärzteverlag erklärte auf Anfrage: "Die durch den Anzeigenkunden beauftragte Anzeige gibt keine Meinung des Deutschen Ärzteverlages wieder."
Der 2010 vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Verein Sterbehilfe stellt bei der von ihm praktizierten Suizidbeihilfe einen Mix tödlicher wirkender Medikamente bereit.
Voraussetzung dafür sind eine Mitgliedschaft im Verein und ärztliche Gutachten darüber, dass der Sterbewunsch frei und selbstverantwortlich getroffen wurde.
Bereits im Februar hatte Kusch mitgeteilt, dass die Zahl der assistierten Selbsttötungen durch den Verein nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stark angestiegen seien. 2021 kam es danach zu 129 Suizidbeihilfen, so vielen wie nie zuvor. Insgesamt hat der Verein in den zwölf Jahren seines Bestehens insgesamt 470 Mitgliedern beim Suizid geholfen, darunter auch jungen, nicht chronisch kranken Menschen.
Drei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe
Derzeit liegen dem Bundestag drei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe vor. Die Richter hatten den Gesetzgeber ermuntert, ein Schutzkonzept zu entwickeln, um zu garantieren, dass Suizide nicht auf Druck des Umfelds oder aufgrund von Depressionen erfolgen und dass der Wunsch nach Selbsttötung dauerhaft und freiverantwortlich besteht.
Kusch geht davon aus, dass der von einer fraktionsübergreifenden Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci eingebrachte Entwurf Gesetz wird. Danach würde die geschäftsmäßige, also auf Wiederholung angelegte Beihilfe zum Suizid prinzipiell erneut unter Strafe gestellt und nur nach Abschluss eines mehrstufigen Verfahrens erlaubt.
Der Vereinsvorsitzende kündigte an, auch bei dieser vergleichsweise strengen Regelung in Deutschland aktiv bleiben zu wollen. "Wir werden ein neues Modell in Angriff nehmen, das juristisch hieb- und stichfest ist, und damit weiterhin Sterbehilfe leisten", sagte Kusch Anfang Juli dem "Spiegel".