Politologe fordert mehr christliche Orientierung von der CDU

"Das 'C' ist ein Bonus und kein Malus"

Die früher enge Verbindung der CDU zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken scheint sich langsam aufzulösen. Das hängt damit zusammenhängen, dass sich beide Institutionen stark verändert haben, meint Andreas Püttmann.

Logo der CDU / © Electric Egg (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Vor einigen Jahrzehnten galt noch katholisch gleich CDU, könnte man sagen. Fast jeder Katholik wählte diese Partei, und auch Bischöfe gaben entsprechende Empfehlungen ab. Hat sich seither die Kirche oder die CDU verändert?

Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Autor): Beide haben sich verändert. Doch zunächst eine kleine Korrektur: Nicht fast jeder Katholik wählte CDU, es waren etwa 80 Prozent der kirchennahen Katholiken, die früher die CDU wählten. Jetzt sind es noch zwischen 50 und 60 Prozent der katholischen Kirchgänger. Der Anteil ist also abgeschmolzen, aber immer noch weit überdurchschnittlich. Also eine Abstimmung mit den Füßen zugunsten der CDU/CSU. Alle anderen Parteien werden von Katholiken mit Kirchenbindung unterdurchschnittlich gewählt.

Die katholische Kirche hat sich selbst seit den fünfziger, sechziger Jahren fundamental verändert: im Konzil, wo sie von einem integralistischen Konzept Abstand nahm, dass wie selbstverständlich katholische Normen auch im Staat zu gelten hätten, und wo sie die relative Autonomie der Kultursachbereiche anerkannt hat, damit auch Eigengesetzlichkeiten der Politik und einen Eigenstand sachkompetenter katholischer Laien auf konkreten Politikfeldern. Der Klerus agierte nach und nach etwas dezenter mit parteipolitischen Hinweisen vor Wahlen.

Zudem gab es den Wertewandel in der Gesellschaft, der auch in die Kirche hinein schwappte. Er stärkte das Selbstbewusstsein der Individuen und konterkarierte autoritäre Gehorsams- und rigide Sittlichkeitvorstellungen. Dann kam die Umweltkrise, die die Union in einer frühen Phase zunächst
verschlief, während vor allem der BDKJ sich nach links öffnete und sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzte. So ging der kirchliche Nachwuchs politisch nicht mehr quasi automatisch in die Junge Union und zur CDU.

DOMRADIO.DE: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken war auch lange Zeit von CDU-Politikern dominiert, zuletzt mit Thomas Sternberg als Präsidenten. Wie ist es hier zur Auflösung dieser bisherigen Nähe gekommen?

Püttmann: Diese Auflösung vollzog sich mit gewisser Institutionen-typischer Zeitverzögerung vor dem Hintergrund dessen, was ich gerade über gesellschaftliche Entwicklungen gesagt habe, die immer Kirche und Politik beeinflussen. Es hat dann katholischerseits auch eine Art "Marsch durch die Institutionen" bis in die ZdK-Spitze gegeben. Die Vizevorsitzende Karin Kortmann war ja auch mal BDKJ-Vorsitzende.

Aber es hat sich natürlich auch die Union verändert. Wenn wir etwa an ihre Kompromisse denken, die sie beim Paragrafen 218 geschlossen hat, bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, in der Bioethik mit dem Stammzellen-Beschluss des Parteitags 2007 und anderem. Dies befremdete zunächst vor allem konservative Katholiken und ließ Bischöfe den Anspruch des "C" in Frage stellen, etwa Kardinal Meisner.

Dazu kam noch eine gewisse kulturelle Entfremdung etwa im rheinischen Katholizismus, als eine evangelische Pastorentochter aus der Uckermark das CDU-Regiment übernahm und eine kleine Protestantisierung in der Union einsetzte: Kauder, Schäuble, Hintze, de Maiziere, von der Leyen, Gröhe, Tauber – plötzlich bestand die CDU-Prominenz mehr aus Protestanten.

Schließlich kam noch eine weitere Phase unter Friedrich Merz, wo rein konfessionell gesehen die CDU zwar wieder katholischer wurde, aber das Profil der Partei und ihre Machtverhältnisse sehr wirtschaftslastig wurden. Im geplanten neuen Grundsatzprogramm beziehungsweise seiner Grundwerte-Charta, die im Entwurf vorliegt, will man sich jetzt neben der christlichen auch eine bürgerliche Identität geben, ohne dass richtig klar ist, was eigentlich unter "bürgerlich" als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Parteien zu verstehen ist.

Also rückt die CDU indirekt selbst etwas von der christlichen Identität ab, vielleicht auch, weil sie meint, dass angesichts kirchlicher Skandale da kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist das von der Bischofskonferenz anerkannte Organ zur Koordinierung des Laienengagements in der Kirche. Allerdings melden sich immer wieder auch einige katholische Laien und Vereinigungen zu Wort, die das ZdK nicht als ihre Vertretung verstehen.

Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)  / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sind die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft in unterschiedliche Richtungen gelaufen?

Püttmann: Ja, sind sie in mancher Hinsicht. Man muss allerdings dazu sagen, dass innerhalb der Kirche auch ganz unterschiedliche Richtungen stark geworden sind und sich befehden - mehr als früher. Wir haben die Aggiornamento-Kirche, die sich eher den Zeitläufen anverwandeln möchte, und die Wagenburg-Fraktion, die sich von der sogenannten bösen Welt trotzig abschotten will. Es gibt also innerhalb der Kirche wie im Staat eine zunehmende Pluralisierung und Polarisierung.

Beide Entwicklungen, die von Kirche und Partei, sind im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen.

Besonders wichtig war übrigens die Flüchtlingskrise, wo es zwar noch mal mit Angela Merkels CDU einen kirchlichen Schulterschluss gab, man jedoch schon bemerkte, dass hinter ihr in der Partei und vor allem nach ihrem Rückzug der humanistisch-karitative und der christlich-soziale Impuls gegenüber typisch konservativen Reflexen ins Hintertreffen geraten sind.

DOMRADIO.DE: Das Zentralkomitee hat bisher sehr stark auf die Repräsentanz in der Politik gesetzt und jetzt auch seinen Sitz nach Berlin verlegt. Sollte Ihrer Ansicht nach dieser Fokus auf die Politik so weiterverfolgt werden?

Püttmann: Es ist meines Erachtens richtig, dass beim Zentralkomitee der Schwerpunkt auf der christlichen Weltverantwortung liegt. Das bedeutet übrigens mehr als nur die Politik, dies wäre ein zu enges Verständnis von Weltverantwortung.

Ich kann auch nur davor warnen, der Versuchung zu erliegen, salopp formuliert, eine Art innerkirchlicher Betriebsrat oder Kirchenparlament zu werden, das als sein konträres Gegenüber hauptsächlich die Bischofskonferenz betrachtet. Gerade angesichts der dramatischen Krise der Demokratien und auch sozialer Probleme ist es wichtig, dass das Zentralkomitee nicht die medial mehr Aufmerksamkeit versprechenden innerkirchlichen Reizthemen stark macht, sondern die christliche Weltverantwortung mit Lösungsvorschlägen für gesellschaftliche Probleme klug wahrnimmt, am besten auch ökumenisch.

DOMRADIO.DE: Was muss die CDU tun, um wieder mehr Nähe zum Zentralkomitee zu haben? Ist es überhaupt wünschenswert?

Püttmann: Sie sollte offensiv zu ihrer christlichen Identität stehen. Das Christliche an sich ist in der Gesellschaft weiterhin gut beleumundet. Das "C" ist immer noch ein Bonus und kein Malus. Die Union kann gut darauf verzichten, sich dieses schwammige "bürgerlich" noch anzueignen, das nach gehobenem Mittelstand klingt. Sie kann ihr Personal in christlicher Gesellschaftslehre schulen und Kooperationen mit den Kirchen suchen, von der kommunalen Ebene bis zum Bund.

Und sie muss im Personal christliche Identifikationsfiguren bieten und auch zur Mitwirkung in Kirchengremien ermuntern. Es gilt die zwar schrumpfende, doch soziologisch und ideell immer noch bedeutsame Kern-Wählerklientel der kirchennahen Christen nicht nur inhaltlich, sondern auch personell zu pflegen. Auch im Blick auf die Parteibasis, die sich in der letzten Mitgliederstudie 2017 zu 80 Prozent der Kirche verbunden erklärte und zu fast zwei Dritteln sagte: "Religion ist der tragende Grund meines Lebens".

Das Interview führte Dagmar Peters.

Enge Verbindung zwischen CDU und ZdK löst sich laut Grütters auf

Die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sieht die einst enge Verbindung ihrer Partei zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) in Auflösung. "Da haben sowohl das ZdK als auch die Unionspolitiker eine Bringschuld, wenn sie die bisherige Nähe vermissen", sagte Grütters der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost". In der Bundestagsfraktion seien zwar sehr viele nicht nur katholisch getauft, sondern würden sich auch zur Kirche bekennen und sich dort engagieren.

Logo des Zdk (Archiv) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Zdk (Archiv) / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR