DOMRADIO.DE: Die Katholiken im Norden leben in der Diaspora-Situation. Nur 1,5 Prozent der Bevölkerung in ihren Ländern ist katholisch. Was wünschen die sich denn von ihrer Kirche?
Schwester Anna Mirijam Kaschner cps (Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz): Das ist ganz unterschiedlich. Wir leben in einer Diaspora-Situation. Das bedeutet natürlich auch, dass viele unserer Gemeinden sehr international besetzt sind. Wir haben einen sehr hohen Migrantenanteil und damit wird die Kirche hier sehr bunt und auch die Wünsche, die dann gestellt werden.
Ich denke, einer der allerwichtigsten Punkte ist die Sorge um die Einheit. Da geht es jetzt aber nicht um die Einheit zwischen evangelischen und katholischen Christen, sondern es geht um die Einheit innerhalb der Gemeinden. Denn unsere Gemeinden sind natürlich aufgrund der Migranten-Situation sehr zersplittert. Wir haben über 100 verschiedene Missionskirchen, also muttersprachliche Gemeinden. Und diese zusammenzuführen unter dem großen Dach "katholisch" ist manchmal eine große Herausforderung. Das Hören aufeinander ist ein ganz wichtiger Aspekt. Einmal das Hören auf das Wort Gottes in einer modernen Welt. Das betrifft den Bereich Verkündigung. Wie können wir heutzutage die frohe Botschaft verkündigen in einer Sprache, die die Welt auch verstehen kann, die junge Leute auch verstehen können? Dann zum Thema Sprache: Das Aussprechen von bestimmten Dingen. Da haben wir natürlich auch einen Mangel an Sprachkenntnissen, auch bei den Priestern, auch bei den leitenden Gremien, einfach wiederum auch aufgrund der Situation der Migranten.
Was mich auch sehr berührt hat, war der Wunsch unserer Katholiken, dass Kirche doch Stellung beziehen möge im gesellschaftlichen Diskurs. Auch wenn die katholische Kirche oftmals Werte vertritt, die im gesellschaftlichen Diskurs nicht unbedingt so anerkannt sind, soll sie doch bitte verständlich machen, warum die Kirche beispielsweise gegen Abtreibung ist, warum die Kirche an bestimmten Dingen festhält. Der Wunsch ist, das ihren eigenen Mitgliedern, aber auch der Gesellschaft nach außen so zu erklären, dass das nachvollziehbar ist.
DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt auf Ihren Brief schauen, der nach Rom ging, steht dort unter anderem: "Viele fürchten sich, das auszusprechen, was sie wirklich denken, aus Angst, dafür verurteilt zu werden oder als abseits der kirchlichen Lehre stehend zu gelten." Wie ist das gemeint? Was steckt dahinter?
Kaschner: Wir haben natürlich, ähnlich wie in Deutschland, auch verschiedene Strömungen in der Kirche. Wir haben eine mehr traditionelle Richtung, wir haben auch eine mehr liberale Richtung. Und genauso, wie das in Deutschland ist, gibt es da natürlich immer auch einige Verdächtigungen gegenseitig. Die Traditionelleren unterstellen dann oftmals den etwas Liberaleren, dass sie nicht mehr katholisch sind und andersherum genauso. Dahinter steckt aber auch der Wunsch danach, Hilfen zu bekommen, die katholische Identität soweit zu stärken, dass ich auch in der Lage bin, meinen katholischen Glauben in einer säkularen Welt zu vertreten. Also, der Wunsch nach Kursen, nach Ausbildung, nach einer gestärkten Identität, sodass ich nicht die Sorge haben muss, ich werde, wenn ich mit meinen Arbeitskollegen zusammen bin, überrollt von deren sehr starken Zweifelsfragen.
DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt noch mal darauf gucken, was nicht in Ihrer Rückmeldung steht, zum Beispiel Stellung zu Homosexualität, Frauenweihe, Zölibat - die Brennpunkt-Themen, die in Deutschland gefordert und diskutiert werden. Spielt das für die Katholiken im Norden keine Rolle?
Kaschner: Es gibt natürlich Einzelne, die sich auch in dieser Richtung ausgesprochen haben. Die waren aber zahlenmäßig sehr gering. Es hat mich auch überrascht, dass das nicht aufgetaucht ist. Auch das, muss ich sagen, hängt mit der Situation einer Minderheitenkirche hier im Norden zusammen. Wenn man in der Diaspora lebt, das habe ich am eigenen Leib erfahren, dann ist das, was katholisch ist, was identitätsstärkend ist, im Gegensatz zur Situation in Deutschland, sehr viel wichtiger.
Hinzu kommt, dass die Probleme einfach ganz andere sind. Wir leben hier in einer solchen Zerstreuung, dass Katholiken auch drei, vier, vielleicht auch sieben Stunden mit dem Auto fahren müssen, bis sie die nächste katholische Kirche und damit einen Gottesdienst erreichen können. Und da sind andere Themen wichtiger. Da ist die Frage: Wie kann ich Gemeinschaft erfahren, gottesdienstliche Gemeinschaft, aber auch soziale Gemeinschaft unter Katholiken? Und Fragen wie Priestertum der Frau, Abschaffung des Zölibats, die in Deutschland ja ganz, ganz heiß diskutiert werden, sind dann eher Randerscheinungen.
DOMRADIO.DE: Trotzdem schreiben Sie ja auch: Es ist wichtig, die Stimmen junger Menschen, der Laien, der Frauen, zu stärken und zu hören und auch den Kampf gegen sexuellen Missbrauch stärker anzugehen. Das sind ja explizit auch die Themen des Synodalen Wegs, des Reformprozesses der Kirche in Deutschland, der nicht nur vom Vatikan kritisiert wird, den auch Sie als Nordische Bischofskonferenz mit einem offenen Brief kritisch hinterfragt haben. Sind das aber nicht die gleichen Ziele wie beim Synodalen Weg?
Kaschner: Die Ziele sind ähnlich. Natürlich ist Verhinderung und Aufklärung von Missbrauch auch unser Ziel. Gar keine Frage. Aber der Unterschied liegt für uns in dem Weg, wie wir versuchen, diese Ziele zu erreichen oder wie wir glauben, dass am besten diese Ziele erreicht werden. In unserer Stellungnahme, die wir nach Rom geschickt haben, stand ja auch ausdrücklich, dass die Gläubigen gesagt haben, sie wollen nicht die legitime Autorität der hierarchischen Kirche in Frage stellen. Und da, glaube ich, liegt der Unterschied auch noch mal zum Synodalen Weg: Sie wollen das vielleicht nicht unbedingt abschaffen, aber ich habe manchmal das Gefühl, das Geländer wird dann eher zu einer Bordsteinkante reduziert.
Das Interview führte Julia Reck.