"Ich sehe mich nicht als Vertreter einer Sache, die ich voranbringen will, indem ich eine vorteilhafte Situation ausnutze", sagte der Erzbischof von Marseille im Interview der Zeitung "La Croix" (Samstag). Einen Kardinal zeichne vor allem "Verbundenheit mit dem Heiligen Stuhl" und mit dem Papst aus.
Noch wisse er nicht, in welchem Tätigkeitsfeld sich der Papst von ihm besondere Unterstützung erhoffe. "Ich habe das Gefühl, dass ihm die Frage des Mittelmeers am Herzen liegt", so der in Algerien geborene Aveline. Vielleicht werde es eine Gelegenheit für Franziskus geben, Marseille zu besuchen. Der Papst möge Marseille, "weil es auf einer Trennlinie liegt, die auch ein Treffpunkt ist"; es sei "sowohl ein Tor zum Osten als auch ein Tor zum Westen".
Einziger Kardinal an der Spitze einer französischen Diözese
Aveline ist der einzige von nun sechs französischen Kardinälen, der eine Diözese leitet. Daraus, so der 63-Jährige, erwachse ihm aber kein besonderer Platz in Frankreichs Kirche. Allerdings verstehe er es schon als seine Mission, dass "die Menschen in Rom besser verstehen, was in der Kirche von Frankreich vor sich geht, was inmitten der Schwierigkeiten und Krisen gebraucht wird, die wir durchqueren".
Die jüngsten päpstlichen Überprüfungen ("Visitationen") in den Bistümern Toulon und Straßburg wertet der Marseiller Erzbischof nicht als römischen Argwohn oder gar Antipathie gegen Frankreich. Es sollten "einige Gewohnheiten überprüft werden", die "Papst Franziskus unter dem Namen Klerikalismus anprangert", sagte Aveline. Man müsse auch anerkennen, dass "Regierungsführung, ob in Kirche, Politik oder Wirtschaft, immer schwieriger wird". Heute würden jene, die Autorität ausüben, "sehr schnell als Zielscheibe betrachtet", so der Kardinal. Und in der Kirche würden Probleme "vielleicht noch durch die sakramentale Dimension des Amtes verstärkt".
Sorge über Brüche in der Gesellschaft
Besorgt äußert sich Aveline über Brüche in der französischen Gesellschaft. Es sei inzwischen schwierig geworden, ohne Beschimpfungen zu debattieren. Die vielen Stimmenthaltungen bei den jüngsten Wahlen zeugten von mangelndem Vertrauen in die Politik und ihre Akteure. Frankreich brauche aber Engagement und Hoffnung, so der Kardinal. Das Land habe "zu große Zweifel an sich selbst"; an dem, womit es "in seiner langen Geschichte an Reichtümern beschenkt" worden sei und was anderen nützlich sein könnte. Dadurch, so Aveline, fehle "im aktuellen Konzert der Nationen der Ton Frankreichs, weil es sich seiner selbst nicht sicher genug ist".