Selten haben Vatikanbeobachter bei einer kurzen Papstreise in die italienische Provinz so gebannt auf ihre Bildschirme gestarrt wie an diesem Sonntag. Papst Franziskus, von Alter und Gelenkschmerzen beeinträchtigt, reiste per Helikopter in die mittelitalienische Stadt L'Aquila, um am Grab des sagenumwobenen mittelalterlichen Papstes Coelestin V. zu beten.
Würde er, so wie vor 13 Jahren Papst Benedikt XVI., diesen Besuch mit einer Geste oder gar einer konkreten Ankündigung eines bevorstehenden Rücktritts verbinden? Zusätzliche Nahrung erhielten die Spekulationen dadurch, dass der Papst die Reise inmitten einer ungewöhnlichen mehrtägigen Kardinalsversammlung unternehmen wollte.
Das Thema Rücktritt drängte sich gleich doppelt auf: Der in L'Aquila begrabene Einsiedler-Papst hat den freiwilligen Papstrücktritt im Jahr 1294 gewissermaßen erfunden. Benedikt XVI. trat dann 2013 als zweiter Papst der Kirchengeschichte tatsächlich ebenfalls freiwillig zurück - und in diesem Moment erinnerten sich viele daran, dass er 2009 zum Grab von Papst Coelestin gepilgert war und dort in einer merkwürdigen Geste seine Bischofs-Stola niedergelegt hatte.
Spekulationen um möglichen Rücktritt
Und: Als der deutsche Papst vor knapp zehn Jahren seinen sensationellen Rücktritt erklärte, tat er dies im Rahmen einer allgemeinen Kardinalsversammlung in Rom. Dabei benutzte er eine lateinische Formel, die in ähnlicher Weise auch schon Coelestin (um 1209-1296) bei seinem Rücktritt ausgesprochen hatte.
Für Papst Franziskus schien nun wieder alles zu passen: Die Reise zum "Patron der Papstrücktritte", die Einberufung einer weltweiten Kardinalsversammlung - und natürlich die Last des Alters und die Knieschmerzen, die den Papst seit Monaten in den Rollstuhl zwingen. Doch dann kam alles anders.
Beratungen zur "Kurienreform"
Vergeblich warteten die Beobachter beim "amtlichen Teil" der Kardinalsversammlung am Samstag auf eine päpstliche Rücktritts-Ankündigung. Und am Sonntag in L'Aquila ließ er sich in Worten oder Gesten nicht ein einziges Mal auf das Thema ein.
Der Blick der vielen, auch wegen der Rücktrittsgerüchte, nach Rom angereisten Journalisten richtet sich nun umso intensiver auf die am Montag beginnenden zweitägigen Beratungen des Kardinalskollegiums. Mehr als zwölf Stunden sind für Debatten in Sprachgruppen und im Plenum angesetzt. Thema ist die von Franziskus beschlossene "Kurienreform", also ein Umbau und eine neue Verfassung für die Zentralverwaltung der katholischen Weltkirche in Rom.
Reformen im Blick
Den Verfasser dieser Reform, den Jesuitenpater und Kirchenrechtler Gianfranco Ghirlanda, hat der Papst am Samstag in den Kardinalsrang erhoben. Der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte Ghirlanda am Samstagabend auf die Frage, ob er mit seinem Werk zufrieden sei: "Es genügt nicht, neue Regeln zu haben. Sie müssen auch umgesetzt und mit Leben gefüllt werden."
Diesem Umsetzungsprozess will der Papst mit der mehrtägigen Kardinalsversammlung im Vatikan Schwung verleihen. Doch es regt sich Kritik aus ganz unterschiedlichen Ecken des Kollegiums. Konservative wie Liberale haben im Vorfeld in Aufsätzen kritisiert, dass die absolute Macht des Papstes über die Vatikanische Kurie durch die Reform weiter gestärkt wird.
Gleichzeitig, so die Kritik, würden die einzelnen Vatikanbehörden und insbesondere ihre Leiter, die Präfekten, ihre kollegiale Machtbeteiligung in der Kirchenregierung ein Stück weit verlieren. Mit Spannung wird nun beobachtet, ob der Papst seine Reform glatt durchbringt, oder ob das Kardinalskollegium in einer kontroversen Debatte Nachbesserungen verlangt.