Solange Eliora Peretz denken kann, hatte sie Fragen: Warum verzehrt man den Leib Jesu bei der Kommunion? Warum soll das Anzünden einer Kerze die Verbindung mit einem Heiligen bewirken? Antworten bekam die Tochter einer protestantischen Schweizerin und eines katholischen Franzosen nicht.
"Ich erlebte eine lange, stille, spirituelle Wüste", erinnert sie sich an das kindliche Leiden. Erst als Au-Pair-Mädchen in einer jüdischen Familie in London kam das Aha-Erlebnis. Es war ein Schritt auf Eliora Peretz' Weg zum Judentum. Anfang September feiert die 40-Jährige ihre Ordination zur orthodoxen Rabbinerin.
Erster Kontakt zum Judentum durch Nachhilfe
"Schon mit acht oder neun Jahren wurde ich von sehr starken spirituellen Fragen aufgewühlt", erinnert sich die Franko-Schweizerin. Die "klassische katholische Erziehung", die sie in Kindheit und Jugend erhielt, half ihr wenig weiter. "Ich hatte das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, aber die Codes nicht zu akzeptieren. Ich kopierte die Gesten, ohne ihre Bedeutung zu verstehen."
Eliora Peretz betete um Antworten, immer in der Angst, "Gott gegenüber Fehler zu machen". Englisch-Nachhilfe durch eine jüdische Lehrerin brachten den ersten Kontakt zum Judentum, das Jahr in London die Befreiung. "Alle Fragen, die ich stellte, wurden beantwortet. Man weiß, was man tut, warum man es tut, und man spricht in der Familie darüber."
Austauschjahr in Jerusalem
Religion und Familienleben, verwoben mit der individuellen Entfaltung, seien ein Rezept gewesen, das sie ansprach. So sehr, dass die Kommunikationswissenschaftsstudentin der Sorbonne während ihrer Doktorarbeit für ein Austauschjahr an die Hebräische Universität nach Jerusalem kam. Ein Schritt, den Eliora Peretz heute als Wendepunkt beschreibt.
In Jerusalem lernte sie Juden aus aller Welt kennen und eine Vielfalt an jüdischen Praktiken. Das Judentum war zur Selbstverständlichkeit geworden, die Entscheidung zum Übertritt schließlich gefällt. "Es war, als hätte die Neunjährige endlich ihre Antworten bekommen. Es ist das Gefühl, nicht in den Wellen des Lebens vergessen worden zu sein." Die Erinnerungen an das Ringen der Kindheit bringen Tränen in die Augen der Jüdin.
Mehrmals zurückgeworfen worden
Mit den Antworten kamen neue Fragen: "Wie konvertiere ich, wo fange ich an und welche jüdische Richtung wähle ich?" Mehrmals sei sie zurückgeworfen worden, sagt Peretz, unter der breiten Krempe ihres Strohhuts ein Lächeln. "Es ist Teil des Spiels, auch Ruth in der Bibel wurde mehrfach weggeschickt." Eliora Peretz entscheidet sich für den strenggläubigen Weg des Judentums. 2009, drei Jahre nach der Entscheidung zur Konversion, wird sie in New York zur Jüdin, 2013 folgt ein zweiter Religionsübertritt in Israel, um auch hier als Jüdin nach dem Religionsrecht anerkannt zu sein.
Ihre Beziehung zu Gott, sagt die Rabbinerin, habe sich durch die Konversion nicht verändert. "Schon in jungen Jahren war mir bewusst, dass es nur einen Gott gibt, der allgegenwärtig, allmächtig und allwissend ist. Diese Vorstellung ist der rote Faden für meine Entscheidungen und für das, was ich geworden bin."
"Gott ist auch im Bett anwesend!"
Heute lehrt Eliora Peretz an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die Rolle der Medien bei Friedensverhandlungen und Übergangsjustiz ist ihr Fachgebiet. Doch auch in Sachen Judentum war für die Konvertitin klar, dass die Fragen nicht mit dem Übertritt enden. Die zentrale Stellung der Frage gehört zu den Dingen, die sie am Judentum besonders schätzt. "Ich wollte weiter lernen. Mir wurde klar, dass es keine andere Wahl gab, als die Rabbinerschule zu besuchen."
Es ist ein ungewöhnlicher Weg: "Orthodoxe Rabbinerinnen gibt es wenige auf der Welt, in Israel noch mal weniger. In fünf Jahren werden wir fünf ordinierte Französinnen sein", sagt sie. Ihr Rabbinat möchte sie in erster Linie den Frauen und Mädchen widmen, zu all den Themen, zu denen es zwar viel rabbinische Literatur gibt, aber bisher wenige Menschen, mit denen Frauen darüber sprechen konnten: "Ich habe mich auf alles spezialisiert, was mit den Gesetzen der Trauer zu tun hat, aber auf Frauen zugeschnitten ist: Abtreibung, Totgeburten, Fehlgeburten."
Auch Menstruation, Sex und Verhütung gehören zu Peretz' Themen, denn "Gott ist auch im Bett anwesend!" Der talmudische Text, sagt sie, ist seit 2.000 Jahren derselbe. "Aber als Frau lese ich ihn anders." Wenn Frauen sich ein Fachwissen zum jüdischen Religionsrecht aneignen, wird dies zu Veränderungen führen, ist sie überzeugt. "Frauen wollen wissen und lernen", diese Bewegung sei heute in allen Religionen zu spüren. "Das Studium der Texte ist eine faszinierende Begegnung mit dem Göttlichen. Diese Liebe und Freude möchte ich weitergeben."