Deshalb fänden sich in der Bibel auch sehr vielfältige Vorstellungen von Gott, erklärte Hieke im Interview des Portals katholisch.de. "Die Menschen haben ganz unterschiedliche Erfahrungen mit diesem Gott gemacht, an den sie glauben. Eben auch, dass dieser Gott fern, abwesend, dunkel und undurchschaubar ist."
Bis heute verunsicherten Naturkatastrophen, Krankheiten und Kriege die Menschen, sagte Hieke, der soeben das Buch "Bibel um-gehen" herausgegeben hat. Wer sich mit schwierigen Bibelstellen befasse, könne eine Weitung des eigenen Gottesbildes erleben. "Manchmal hat man sich Gott ein wenig zurechtgemacht: immer griffbereit, aber nicht störend. Wenn man sich das eigene Gottesbild so zurechtmacht, entspricht es aber nicht mehr Gott."
"Vorsicht mit Unmittelbarkeit"
Bei der Bibellektüre komme es auf Nuancen an - und auch auf den Zusammenhang, in dem die jeweiligen Geschichten entstanden seien. So gebe es dort Texte, die nicht aus der Sieger-, sondern aus der Opferperspektive verfasst seien, erklärte Hieke. "Das, was ich als störend empfinde, kann unter Umständen ein grundlegendes Problem sein, das es bis heute gibt und für das man auch heute keine Lösungen hat."
Vorsichtig sein müsse man mit einer vermuteten "Unmittelbarkeit" der Bibel, fügte der Wissenschaftler hinzu. "Aus der Bibel abzuleiten, man müsse Blutrache üben", wäre beispielsweise "eine eindeutig falsche Unmittelbarkeit. Gleichwohl bleibt der biblische Impuls der, dass nach einem Mord nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann."
Gerechter Ausgleich nicht schmerzfrei
Andere biblische Geschichten zeigten, dass Gott anders eingreife, als der Mensch es erwarte. Viele Menschen hofften weiterhin auf einen Gott, "der die Gerechtigkeit, die im Zusammenleben der Menschen in Schieflage geraten ist, wiederherstellt", betonte Hieke.
Aus heutiger Perspektive wirkten manche Bibelstellen "gewalttätig und irrational", doch das Ziel sei letztlich ein gerechter Ausgleich. "Und das geht nicht schmerzfrei - das wissen wir auch aus unserem Alltag."