DOMRADIO.DE: "Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt", so lautet das Motto. Was haben Sie vor Ort mitbekommen? Welche Bedeutung hat dieses große Treffen der Christen aus Ihrer Sicht?
Gerhard Feige (Vorsitzender der Ökumene-Kommission der katholischen Kirche in Deutschland): Das ist natürlich ein großartiges Thema, das erst mit Leben gefüllt werden muss. Aber in Karlsruhe kann man das jedenfalls unter den Beteiligten erleben. Das ist beeindruckend, international und interkulturell, so viele Menschen zusammen zu sehen, die von ihrem christlichen Glauben bewegt sind und sich mühen, in dieser Welt mit zur Versöhnung und Einheit beizutragen.
DOMRADIO.DE: Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) ist eine Gemeinschaft von 352 Kirchen aus mehr als 120 Ländern, weltweit über 580 Millionen Christinnen und Christen werden vom ÖRK vertreten. Sie haben vorgeschlagen, als katholische Kirche in diesem Rat auch volles Mitglied zu werden. Ist das so einfach?
Feige: Das ist sicher nicht einfach, sonst wäre es längst geschehen. Aber ich sehe es theoretisch jedenfalls als möglich an.
Die Basisformel, die der Ökumenische Rat hat, heißt: Er ist eine "Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes".
Diese Formel ist 1948 begonnen worden und 1961 durch das trinitarische Element, Vater, Sohn, Heiliger Geist, erweitert worden. Dann sind auch einige orthodoxe Kirchen noch mit beigetreten, und es hat eine Erklärung 1950 in Toronto gegeben, dass dieser Ökumenische Rat sich eben nicht als eine "Über-Kirche" versteht. Und dass er auch nicht die Auffassung von Kirche, die die einzelnen Gemeinschaften und Kirchen haben, relativiert.
DOMRADIO.DE: Die Kirchen sind gewissermaßen gleichberechtigt und werden untereinander anerkannt?
Feige: Genau, dabei gibt man die eigene Ekklesiologie, die eigene Lehre von der Kirche, nicht auf, wenn man dazugehört. Und das war eines der Hauptargumente, weswegen die katholische Kirche zunächst nicht Mitglied wurde. Und man kann natürlich auch noch das praktische Moment sehen: Die katholische Kirche hat eine größere Zahl an Mitgliedern als alle diese Kirchen insgesamt, und damit würde sie, weil das eine Rolle spielt, gewissermaßen in diesem Weltrat dominieren. Aber es gibt eine gute Vernetzung, es gibt eine gute Beteiligung, eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Und in einer Kommission, nämlich für Glauben und Kirchenverfassung, ist die katholische Kirche direktes Mitglied, nicht nur Gast und Beobachter.
DOMRADIO.DE: Unter den zusammengeschlossenen Kirchen gibt es ein bemerkenswertes Miteinander. Könnten wir Katholikinnen und Katholiken uns möglicherweise von dem etwas abgucken in Richtung Ökumene? Und gehen Sie von einem gemeinsamen Abendmahl beispielsweise aus?
Feige: Das ist noch schwierig, dieses letzte Thema. Ich glaube auch nicht, dass unter all diesen Kirchen, die da vertreten sind, ein solches gemeinsames Abendmahl schon möglich ist. Nein, mir fällt ja gerade ein, vonseiten der Orthodoxen ist das nicht so denkbar. Da spielt der Rat nicht so eine große Rolle. Er ist vielmehr ein Raum für Begegnung und Dialog, wo man sich verständigt. Aber es ist eben keine Kircheneinheit in dem Sinne.
DOMRADIO.DE: Inhaltlich kommt man in diesen Zeiten nicht darum herum, die Klimakrise und auch den Krieg in der Ukraine zu thematisieren. Sie kennen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. selbst. Bei der Versammlung sind sowohl Vertreter der russischen als auch der ukrainischen Kirchen anwesend. Wie war es, dass russische und ukrainische Vertreter dort zusammengetroffen sind?
Feige: Das Thema dieses russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war insgesamt präsent, also in fast jeder Rede und besonders natürlich durch die Rede des Bundespräsidenten, der das Thema sehr massiv eingebracht hat. Ich habe die russische Delegation selbst nicht wahrnehmen können in den zwei Tagen, wo ich da war. Nur ein Vertreter hat mit kurz das Gespräch gesucht, der mich von einem Treffen in Sankt Petersburg kannte. Das Besondere war: Der Ökumenische Rat hatte elf Vertreter aus der Ukraine eingeladen, die sonst eben nicht direktes Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen sind. Da weiß ich nicht, wie das inzwischen gelaufen ist, ob die russische Delegation und diese ukrainischen Vertreter in irgendeiner Form Kontakt hatten.
DOMRADIO.DE: Welche große Spannung lag darüber hinaus durch die aktuellen Herausforderungen über der Vollversammlung?
Feige: Es sind einige spannungsreiche Themen, zum Beispiel der Nahostkonflikt, das Thema Israel und vor allem der Krieg in der Ukraine. Der ÖRK ist vermutlich nicht in der Lage, da ganz konkrete faktische Lösungen zu schaffen, aber er ist eine Plattform, auf der die einzelnen Gesichtspunkte vorgetragen werden können und wo man sich eben müht, zu einer gemeinsamen Sicht zu kommen. Es bleibt uns als Christen eigentlich nichts anderes übrig, als diesen Weg zu beschreiten.
Das Interview führte Katharina Geiger.