"Den Tod in Leben verwandeln. Die Umwandlung von Krieg in Frieden. Davon träumt jeder, der mit den Schrecken des Krieges konfrontiert ist", sagt Oleksandr Klymenko. "Das Projekt, Ikonen auf Munitionskisten zu malen, war deshalb unser gemeinsamer Traum vom Frieden in der Ukraine." Eine Ikone könne nicht nur die Ereignisse von vor zweitausend Jahren wiedergeben, sondern auch die tragischen Geschehnisse des modernen Krieges, so Klymenko.
Innere Berufung
Wenn der 46-jährige Künstler über seine Ikonen spricht, spürt man eine innere Berufung. Wer Ikonen male, suche eine enge Verbindung zu Gott und wolle sich als Mensch verbessern. Seine Ehefrau Sonia Atlantova bringt es noch prägnanter auf den Punkt: "Ikonenmalen ist wie Beten mit Farben", sagt sie. Wobei man in der byzantinisch-orthodoxen Kultur eigentlich nicht von Ikonenmalen spricht: Ikonen werden "geschrieben". Ikonen anzufertigen, ist also eine besondere Art, über Heilige und Gott zu schreiben. Hagiographie sozusagen.
Beide stammen aus Künstlerfamilien
Oleksandr Klymenko und seine Frau sind Absolventen der Nationalen Akademie der Schönen Künste und Architektur in Kiew. Er hat unter anderem eine Lehrtätigkeit am Staatlichen Institut für dekorative Kunst und Design in Kiew inne; gemeinsam haben sie drei Kinder. Doch wie kommen die beiden dazu, in der heutigen Zeit Ikonen zu malen? Beide stammen aus Künstlerfamilien. Beide wollten schon immer malen. Und beide sind auch als Schriftsteller und Schriftstellerin tätig. Er schreibt surrealistische Texte über den Krieg. Sie verfasst Kinderbuchtexte. Die Bücher der 41-Jährigen wurden in die Short- und Longlists mehrerer Literaturpreise in der Ukraine und im Ausland aufgenommen, etwa in die Liste "BBC Book of the Year".
Ihr Herz schlägt für Ikonen
Doch am meisten schlägt das Herz der beiden für Ikonen: jene religiös inspirierten, menschlichen Abbilder Gottes und Schaufenster in die höchste Dimension der Heiligkeit. Ein Grund, warum der klassische Hintergrund von Ikonen oft golden gefärbt ist. "Ikonen sind für mich einfach die am vollendetsten gemalten Bilder", so Klymenko.
Ihre Ikonen auf Munitionskisten sind stumme Zeugen des Krieges und Symbole für den Sieg des Lebens über den Tod. Sie sind auf Holzfragmente von militärischen Munitionskisten gemalt, die von Soldaten auf den Schlachtfeldern in der Ukraine zurückgelassen wurden. "Die Ikonen verwandeln den nach Tod riechenden Militärmüll in lebensbejahende Kunst", sagt Klymenko. An manchen Waffenkistendeckeln sind noch die Scharniere zu sehen. Die meisten Holzbretter stammen aus ukrainischen Militärbeständen. Doch mittlerweile verwendet das Paar auch russische Waffenkistendeckel - zurückgelassen von Putins Armee. Die auf die Munitionskisten gemalten Bilder sollen Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit in das vom Krieg zerrissene Land bringen.
Erlöse für mobiles Krankenhaus
Die Erlöse aus den Verkäufen kommen einem mobilen Krankenhaus zugute. "Im Augenblick steht das Krankenhaus in der Nähe von Charkiw", sagt Klymenko. Auch dominikanische Brüder, die sich um vom Krieg traumatisierte Kinder von der Front kümmern und Freiwillige für Häuserreparaturen rekrutieren, werden durch die Verkäufe der Ikonen unterstützt.
Als besonders trauriges Symbol für Grausamkeiten des russischen Überfalls steht der Ikonenzyklus "Mariupol Deesis". Die im April 2022 entstandene Reihe aus Ikonen ist der fast völlig zerstörten südukrainischen Stadt, ihren Bewohnern und Verteidigern gewidmet. "Es sind elf Ikonen, die mit Tränen und Blut geschrieben zu sein scheinen. Werke, die ich lange Zeit nicht publizieren konnte, nirgendwo zu veröffentlichen wagte und die ich kaum jemandem zeigen konnte. Zu schmerzhaft, zu persönlich sind sie für mich", sagt Oleksandr Klymenko.
Ausreise zu Ausstellungen
Die beiden Künstler dürfen mit Zustimmung der ukrainischen Regierung zu Ausstellungen ausreisen. Nicht zuletzt weil ihr Kunstprojekt inzwischen international bekannt ist. "Wir haben schon an 105 Lokalitäten und 53 Städten in Europa ausgestellt", berichten sie. Von Mitte Januar bis Mitte Februar 2023 werden die Ikonen in Zürich zu sehen sein.