Eine langjährige katholische Seelsorgerin und Gemeindeleiterin wird mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet. Bei der Eucharistiefeier Ende August in ihrer Pfarrei in Illnau-Effretikon (Kanton Zürich) predigt Monika Schmid nicht nur; sie spricht auch mit den anwesenden Priestern simultan das Eucharistische Hochgebet. Das ist allerdings laut katholischer Liturgie und Kirchenrecht nur einem Priester vorbehalten.
Stimmen gehen auseinander – Skandal oder mutiger Schritt?
Zwar ist die Pfarrgemeinde in Effretikon schon lange für besondere, offene und viele Menschen begeisternde Liturgiefeiern bekannt; wie auch das sonstige Gemeindeleben, das Schmid maßgeblich mitprägte. Doch der Skandal ließ nicht lange auf sich warten. Von den einen als konsequenter, mutiger Schritt in der Kirche gefeiert und anderen als klare Missachtung der Eucharistie gebrandmarkt, rief die Aktion den zuständigen Bischof von Chur auf den Plan.
Als Diözesanbischof habe er die Pflicht, auf die Ereignisse in Effretikon zu reagieren, teilte Joseph Bonnemain am 2. September mit. Wegen der Tragweite habe er bewusst nicht unmittelbar gehandelt, sondern wollte vorher sorgfältig abwägen. "Die Komplexität des stattgefundenen liturgischen Missbrauchs erfordert die Eröffnung einer kanonischen Voruntersuchung", so Bonnemain. Zudem müsse sich zeigen, "ob es sich um Vergehen handelt, deren Beurteilung dem Dikasterium für die Glaubenslehre vorbehalten sind und demzufolge dorthin gemeldet werden müssen".
Mit seiner Ankündigung erntete der sonst eher als offen und konziliant geltende Bonnemain teils heftige Kritik. Vor allem wegen der Verwendung des Begriffs "liturgischer Missbrauch". Die Präventionsbeauftragte des Bistums, Karin Iten, warnte davor, den Begriff inflationär zu verwenden. In diesem Fall "von Missbrauch zu sprechen, wenn ein liturgischer Ablauf nicht gewahrt wird, hinterlässt deshalb bei mir einen schalen Nachgeschmack", so Iten.
Kritik an der bischöflichen Wortwahl
Verschärft wurde die Kritik an Bonnemains Wortwahl, weil parallel bekannt wurde, dass sich bei einer Priesterweihe im Bistum Sitten unter den Konzelebranten ein "wegen pädophiler Handlungen angeklagter" Priester befand. Der dortige Bischof Jean-Marie Lovey war nach eigener Aussage erst später darüber informiert worden. Der betreffende Geistliche habe "aus eigenem Antrieb an der Feier teilgenommen, ohne seine Oberen zu informieren".
Der Schweizer Theologe Martin Müller verfasste einen teils süffisant-ironischen Offenen Brief an Bonnemain. Er sei "gespannt zu erfahren, was genau beim Abschiedsgottesdienst von Monika Schmid am 28. August in St. Martin zu welchem Zweck 'missbraucht' worden sein soll". Auch solle der Bischof wie ein Fußballschiedsrichter das Video-Material vom Abschiedsgottesdienst auswerten. Dabei werde er "weitere Dinge entdecken, die in einer lehrbuchmäßigen römisch-katholischen Liturgie so nicht vorgesehen" seien.
Deutsche Katholiken warnen vor der Konfrontation
Vereinzelt schwappte der Schweizer Streit auch nach Deutschland. Auf Nachfrage des Portals kath.ch beim Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Marc Frings, antwortete dieser: "Hier soll ein Exempel statuiert werden. Aber wer die Macht der katholischen Regeln mit Durchgreifen meint sichern zu müssen, offenbart spirituelle Machtlosigkeit." Dies sei "kein Zeichen für Glaubenssinn und Menschennähe", so Frings.
Martin Werlen, früherer Abt der Benediktiner-Abtei Einsiedeln, warnte davor, "in alte Muster der toxischen Konfrontation zurückzufallen. Wir kommen in eine Schlagabtausch-Spirale, wo wir am Ende nur Frust produzieren und nichts gewinnen". So sehr er Schmids Arbeit in Effretikon schätze, wolle er eine Solidaritäts-Petition für sie dennoch nicht unterzeichnen, sagte Werlen zu kath.ch.
Auch die Petition steige nur "in das gewohnte System ein und bringt Bischof Joseph Bonnemain in die Defensive". Die Petition betone Trennendes, nicht Verbindendes. "Wenn wir uns alle an einen Tisch setzen würden, kämen wir weiter als mit Petitionen und kanonischen Voruntersuchungen", so der Ordensmann. Schmid und Bonnemain hätten viel mehr Gemeinsames als Trennendes. "Beide wollen eine lebendige Liturgie und dass die Menschen vom Evangelium begeistert werden. Darauf kommt es an", betonte Werlen.
Kein Streit zwischen den Protagonisten
Inzwischen haben Schmid und Bonnemain miteinander gesprochen. Bei einer Tagung von Bischofskonferenz, Frauenbund und Frauenrat zum Thema Sakramentalität sei der Bischof auf sie zugekommen und habe sie "sehr herzlich begrüßt", so Schmid. Abends sei er erneut "mit einer sehr herzlichen Geste" auf sie zugegangen; man habe "keinen Zoff".
Als Bischof habe Bonnemain, so Schmid, eine schwierige Aufgabe, die von ihm bestimmte Entscheidungen verlange, wie sie andeutete. Das ändere aber nichts daran, "dass wir herzlich und wertschätzend miteinander umgehen".
Unterdessen bleibt der "Fall Effretikon" weiter prominentes kirchliches Gesprächsthema in der Schweiz. Inzwischen solidarisieren sich nicht nur katholische Gläubige, sondern auch reformierte Geistliche mit Schmid. Andere hingegen kritisieren, dass sich Schmid und weitere katholische Kirchenvertreter willkürlich über bestehende Regeln hinwegsetzten.