DOMRADIO.DE: Sie sind selber gläubiger Muslim. Was ruft der Muezzin da eigentlich und was bedeutet das für Sie persönlich?
Murat Kayman (Beirat der Alhambra-Gesellschaft e.V.): Das ist ein Ruf, mit dem ich als Muslim – der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist – selber nicht aufgewachsen bin, sondern den ich von Besuchen kenne. Aus dem Heimatland meiner Eltern, wo dieser Ruf zum Alltag, zur Geräuschkulisse gehört und dort den Tag ordnet. Von morgens bis abends erinnert er daran, dass das Gebet dazu dient, den Glauben im Tagesablauf zu erleben und zu praktizieren, an das was der Islam von seinen Gläubigen möchte, nämlich an die freiwillige Ergebenheit in den Willen Gottes. Der Ruf wiederholt das Glaubensbekenntnis. Nur zwei Sätze sind kein Teil davon: 'Eilt zum Gebet', 'Eilt zur Seligkeit', bzw. 'zum Heil'. Es geht darum den Alltag zu unterbrechen, in sich zu gehen, in nicht-muslimischen Kreisen auch Meditation, Stille oder Andacht genannt. Er erinnert fünfmal am Tag daran.
DOMRADIO.DE: Sie begrüßen also das Kölner Pilotprojekt und finden es gut, dass in der Kölner Zentralmoschee künftig der Muezzin zum Gebet rufen wird?
Kayman: Es ist ein ästhetisches Element meines Glaubens. Ich finde es schön, dass wir den auch hier in einer Gesellschaft praktizieren dürfen, die nicht vornehmlich muslimisch geprägt ist. Hier, wo Muslime eher in der Minderheit sind. Das ist ein Zeichen unserer demokratischen Verfasstheit, unserer vielfältigen Gesellschaft, des Zusammenlebens unterschiedlichster Menschen. Dass diese Elemente Ausdruck im Muezzinruf finden, der Muslime positiv anspricht, finde ich absolut gut. Ich habe aber auch ein Problem: Mit der Institution Ditib nämlich, die das erstmalig in Köln praktiziert. Sie steht für alles, aber nicht für demokratische Verhältnisse und Freiheitlichkeit.
DOMRADIO.DE: Sie waren selbst viele Jahre Funktionär beim Islamverband Ditib. Macht die Ditib hier in Deutschland, was Erdogan in der Türkei sagt?
Kayman: Ich glaube, es bringt nichts, wenn eine Moschee oder ein Verband so groß wie die Ditib einmal im Jahr zum Tag der offenen Moschee einlädt, ihn inszeniert und feiert, sich dann aber die restlichen 364 Tage im Jahr verschanzt in den eigenen Mauern, in einer eigenen nationalen Identität, einer Wagenburg, die eben nichts mit der deutschen Gesellschaft zu tun haben will. Dass gerade in diesem Umfeld der Gebetsruf erklingt und all das zum Ausdruck bringen soll, was ich so gut finde, ist ein Widerspruch in sich. In der Sache ist es also gut, ein gutes Angebot, ein gutes Zusammenkommen von Muslimen der Stadtgesellschaft Köln. In der praktischen Umsetzung habe ich aber meine Probleme mit dem Hausherrn dieser Moschee.
DOMRADIO.DE: Wenn am Freitag in Köln-Ehrenfeld der Muezzin zu hören ist, ist das dann einfach ein Aufruf zum Gebet – so wie Sie es sich wünschen würden – oder die Demonstration des politischen Islams?
Kayman: Nein, ich glaube nicht, dass der Ruf eine Demonstration des politischen Islams ist. Dafür ist die Gemeinde dieser Moschee zu vielfältig. Sie besteht aus Muslimen unterschiedlichster Herkunftsländer, nicht nur aus türkischen Muslimen. Es wäre unfair, dieser Gemeinde, die sich am Freitag für den Gebetsruf und das Schöne was man damit verbindet, zusammenfindet, zu unterstellen, sie hätte eine politische Agenda.
Die Kritik an dem Hausherrn muss weiterhin stattfinden, gerade auch mit Blick auf den Gebetsruf. Er darf sich nicht als Manifestation eines Anspruches durchsetzen, sondern als Aufforderung und Herausforderung, dem gerecht zu werden, was dieser Gebetsruf bedeuten soll. Die Ditib muss sich weiter öffnen und dem gerecht werden, was sie mit dem Gebetsruf aussagt.
DOMRADIO.DE: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist für dieses Pilotprojekt massiv kritisiert worden, aus ähnlichen Gründen, wie Sie sie angeführt haben. Was hätten Sie ihr geraten? Wie hätte das Projekt mehr Akzeptanz finden können?
Kayman: Man muss sich bewusst machen, dass in einer vielfältigen Gesellschaft Freiheitsrechte juristisch durchgesetzt werden können. Auch gegen den Willen all jener, die mit diesem Freiheitsrecht nicht viel anfangen können. Umso mehr gehört es dazu, für diese Freiheiten zu werben und das Verständnis von Vielfalt werbend einzufordern. Im Vorfeld hätte es größere Runden geben müssen mit denjenigen, die diesen Gebetsruf befürworten. Aber auch mit denjenigen – die auch in dieser Stadt leben und die unter diesem Gebetsruf, oder durch andere Muslime viel Leid erfahren haben, in den jeweiligen Ländern, aus denen sie zu uns geflohen sind. Dort haben extremistische Ausprägungen des fundamentalistischen Islam sehr viel Unheil angerichtet. Diese Menschen werden keine positiven Assoziationen haben, wenn sie dem Ruf des Muezzin zuhören. Das wird aber, aller Voraussicht nach, nicht passieren, weil die Lautstärke so reguliert ist, dass er nur auf dem Vorhof dieser Moschee zu hören ist.
Das Interview führte Katharina Geiger.