DORMADIO.DE: Ja, für alle, die sich jetzt vielleicht wundern, wollen wir mal auflösen. Sie konnten Ihren Mann in einer katholischen Kirche heiraten, weil sie vom römisch-katholischen Glauben zu den Alt-Katholiken gewechselt sind, oder?
Anselm Bilgri (Ex-Mönch, ehemaliger Cellerar und Prior im Kloster Andechs): Ja, vor zwei Jahren bin ich übergetreten. Das war eigentlich auch mit einer der Gründe zum Übertritt, weil es dort möglich ist, dass man einen Mann als Mann in der Kirche in einem Gottesdienst heiraten kann. Und es geht da nicht nur um eine heimliche Segnung, wie es sehr viele römisch-katholische Pfarrer auch machen, sondern eine richtige offizielle Trauung. Mir war das persönlich wichtig und deshalb haben wir das gemacht.
DORMADIO.DE: Sie waren lange Benediktinermönch. Sie sind jetzt 68 Jahre alt. 2004 haben Sie gesagt, Sie treten aus. Wie kam es denn damals dazu?
Bilgri: 2004 bin ich aus dem Orden ausgetreten. Ich war 30 Jahre lang Benediktiner, davon 20 Jahre lang der Cellerar, also der Wirtschaftsleiter des Kloster Andechs und zehn Jahre Prior. Es gibt immer zwei Sachen: einmal einen Grund und einmal einen Anlass. Der Grund war sicher auch eine religiöse Weiterentwicklung, würde ich sagen.
Ich hatte das einfach mit der Zeit. Da fand ich das Leben als Mönch für mich persönlich auch aus der Zeit gefallen. Und das andere war der Anlass, dass es bei uns im Kloster eine personelle Veränderung gab. Und die Jungen, die dann damals ans Ruder kamen, denen war ich etwas zu ökonomisch und zu dominant.
DORMADIO.DE: Sie waren Ende 40, als Sie damals ausgetreten sind. Da verliert man ja auch seine Altersversorgung und seine finanziellen Ansprüche. Sie mussten sich ja ganz neu erfinden. Wie schwer war das?
Bilgri: Das Kloster hat dann etwas nachgezahlt, aber aufgrund des Ordensgelübdes müssen die ja nur zum Minimalsatz nachbezahlen. Ich war also darauf angewiesen, zu arbeiten und Geld zu verdienen. Ich habe dann eine Firma gegründet für Unternehmensberatung, und zwar für werteorientierte Unternehmensführung.
Ich habe einfach diese Ideen, die der heilige Benedikt mit seiner Regel schon vor 1.500 Jahren niedergeschrieben hat und die ja offensichtlich dafür sorgen, dass es nachhaltigen Erfolg gibt, versucht zu erretten und zu übersetzen für Menschen, die mit Kloster und Religion nichts zu tun haben, aber doch Organisationen führen und leiten müssen. Das habe ich seither gemacht und habe meine Lebensversicherungen weiter bezahlt.
DORMADIO.DE: Vor zwei Jahren kam dann der nächste Schritt. Da haben Sie der römisch-katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Das war ja quasi trotzdem sechseinhalb Jahrzehnte lang auch Ihr privater Lebensmittelpunkt. Wie schwer war das?
Bilgri: Ich bin ja römisch-katholisch in Bayern aufgewachsen und habe dort meine Heimat gefunden. Ich bin aus dem Orden ausgetreten, aber war natürlich nach wie vor römisch-katholischer Priester, auch wenn ich nicht in der Kirche gearbeitet habe.
Aber da war auch die Corona-Welle beteiligt. Da denkt man dann darüber nach, was denn eigentlich im Leben sinnvoll ist. Da dachte ich, ich mache Nägel mit Köpfen. Ich bin ja immerhin schon zwölf Jahre mit meinem jetzigen Mann liiert gewesen. Da haben wir uns entschlossen, jetzt zu heiraten, nachdem das 2017 ja auch auf dem Standesamt schon möglich war.
Der Austritt war so ein Entschluss, der war schon schwer. Ich muss schon sagen, aufs Standesamt dann vorher zu gehen und den Kirchenaustritt zu erklären, das kostet schon Überwindung, wenn man eigentlich von Herzen katholisch ist.
DORMADIO.DE: Am Wochenende haben Sie mit 120 Gästen in St. Willibrord in München geheiratet. Es waren auch Medienvertreter dabei und Sie haben auch Interviews gegeben. Man hatte den Eindruck, die Öffentlichkeit ist Ihnen auch wichtig. Stimmt das?
Bilgri: Ich habe sie nicht gesucht. Als ich in Andechs Mönch war, war ich aber schon medienaffin. Das ist mir auch ein bisschen vorgeworfen worden von meinen Mitbrüdern. Aber ich nehme diese Rolle jetzt an, beispielhaft als Ex-Mönch und bekannter Mensch publikumswirksam zu heiraten. Ich möchte einfach eine Lanze brechen für die Gleichberechtigung von Homosexuellen und queeren Menschen in unserer Gesellschaft.
Das ist einfach etwas Normales, und das sollte eigentlich gar nicht mehr so einen medialen Aufwand brauchen, weil es einfach normal werden sollte.
DORMADIO.DE: Eine gleichgeschlechtliche Ehe ist bei den Alt-Katholiken möglich. Was dürfen sie denn noch, was in der römisch-katholischen Kirche ein absolutes Tabu ist?
Bilgri: Zuallererst einmal gibt es keinen Pflichtzölibat, der ist schon vor 150 Jahren aufgehoben worden. Dann gibt es seit 25 Jahren Frauen in allen Ämtern. Also Diakon, Priester, Bischof könnte auch eine Frau bei uns sein. Die Synodalität, um die ja zurzeit gerade in der deutschen römisch-katholischen Kirche so gerungen wird, ist schon immer verwirklicht.
Die Bistumssynode findet alle zwei Jahre statt. Das ist das oberste Gremium, das auch den Bischof wählt. Da müssen laut Satzung mehr Laien dabei sein als Geistliche. Das ist schon eine Kirche derjenigen, die ja getauft sind. Die Geistlichen sind wirklich Diener der Gemeinden. Und das, was wir jetzt gemacht haben, ist natürlich kein Problem: Eine gleichgeschlechtliche Ehe, dass die getraut wird, also im Sinne einer richtigen Trauung und nicht nur einer Segnung. Und ich kann als Homosexueller auch als Priester im Ehrenamt tätig sein.
DORMADIO.DE: Die Alt-Katholiken sind ja noch gar nicht so alt, es gibt sie seit 1870 hier in Deutschland. Trotz dieser Freiheiten sind es relativ kleine Gemeinschaften geblieben. Wie erklären Sie sich das?
Bilgri: Sie sind eigentlich sehr unbekannt geblieben. Damals 1870 war das nach dem Ersten Vatikanum der Protest gegen die Unfehlbarkeitsdogmatisierung des Papstes. Damals hat man gemeint, es wäre eine große deutsche oder österreichisch-schweizerische Bewegung, aber das ist dann etwas versandet. Wir sind insgesamt in Deutschland 15.000 Mitglieder von der Kirche und haben, glaube ich, so zwischen 70 oder 80 Gemeinden in ganz Deutschland. Der Bischof sitzt übrigens im Rheinland in Bonn – schon seit über 100 Jahren. Unsere Gemeinde in München hat so an die 700 Mitglieder, die natürlich auch über fast halb Oberbayern verstreut sind. Um da in den Gottesdienst zu kommen, da geht es nicht nur um die nächste Straßenecke, sondern da muss man sich ins Auto oder in den Zug setzen und herkommen.
DORMADIO.DE: Bekommen Sie denn mit, dass es durch die Skandale in der römisch-katholischen Kirche derzeit zu mehr Überwechseln kommt?
Bilgri: Es kommt zu mehr Überwechseln, aber die große Welle ist es momentan auch noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob die kommt. Die Menschen, die schon einige Zeit ausgetreten sind, die tun sich dann schwer, wieder woanders einzutreten. Man muss ja auch bei uns Kirchensteuer bezahlen. Aber ich weiß doch, dass viele, die sich in der römisch-katholischen Kirche engagieren und die jetzt enttäuscht werden, vielleicht auch durch diese Erwartungen, die man an den Synodalen Weg da hat, dass die dann sich überlegen, eine spirituelle Heimat zu haben. Und wenn man mal katholisch ist, mit unserer Liturgie und mit dem Priestertum, dann tut man sich etwas schwerer mit der evangelischen Kirche. Da ist die Alt-Katholische Kirche, glaube ich, eine gute Alternative.
DORMADIO.DE: Seit 2017 sind Sie schon standesamtlich mit Ihrem Mann verheiratet. Was hat sich denn jetzt durch die kirchliche Heirat auch emotional für Sie und Ihren Mann geändert?
Bilgri: Das ist interessant, auch überhaupt der Übertritt. Als römisch-katholischer Mensch und Jugendlicher vor allem empfindet man ja Sexualität außerhalb der Ehe immer als Sünde. Das kriegt man nicht raus aus dem Kopf. Durch den Übertritt und jetzt durch diese Trauung in der Kirche fällt dieses Unbewusstsein weg. Das ist eine wahnsinnig große Befreiung, die ich da persönlich erlebt habe. Da musste ich 68 Jahre alt werden, damit das kommt. Aber ich finde das toll.
Das Interview führte Heike Sicconi.