Kölner Caritas für Reformen im kirchlichen Arbeitsrecht

Ein guter Wink der Grünen?

Das Arbeitsrecht der Kirchen kennt weder Streik noch Gewerkschaften. Die Grünen wollen das ändern und haben dazu einen Antrag auf ihrem Parteitag verabschiedet. Doch welche Chancen und Risiken hätte eine solche Öffnung für die Kirchen?

Kirchliches Arbeitsrechts weiter in der Debatte / © Studio Romantic (shutterstock)
Kirchliches Arbeitsrechts weiter in der Debatte / © Studio Romantic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Im Antrag der Grünen geht es um den sogenannten "Dritten Weg". Was ist damit gemeint? 

Bruno Schrage (Caritas Köln)

Bruno Schrage (Referent für Caritaspastoral beim Diözesancaritasverband im Erzbistum Köln): Der "Dritte Weg" ist ein Sonderweg der Kirchen. Er hat etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu tun und ist vom "Ersten Weg" zu unterscheiden. Beim "Ersten Weg" sind wir noch in der Industrialisierung. Da bestimmte der Unternehmer über die mit fast keinen Rechten ausgestatteten Arbeitnehmer an den großen Industriemaschinen über deren Wohl und Wehe und darüber, was er ihnen an Lohn zahlen wollte. Das war die Entstehung der Gewerkschaften und es gab auch entsprechende Sozialenzykliken.

Es kam dann in Deutschland auf Dauer zum "Zweiten Weg". Das heißt, die Gewerkschaften auf der einen Seite, die die Arbeitnehmer vertreten, und auf der anderen Seite die Arbeitgeberverbände, die dann in tarifpolitischen Auseinandersetzungen miteinander aushandeln, wie hoch zum Beispiel Löhne für bestimmte Berufsgruppen sind. Oder eben auch: Man einigt sich nicht, wie wir das gerade bei Eurowings erleben. Da geht es dann zum Beispiel um Freizeitausgleich bei einer offenbar sehr verdichteten Arbeitswelt, die die Piloten dort erleben.

Bruno Schrage, Referent für Caritaspastoral im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln

"Der 'Dritte Weg' funktioniert in Deutschland vor allen Dingen auch so gut, weil die Gewerkschaften oft schon das erkämpft haben, was wir dann für uns übernehmen."

Und in Deutschland haben wir ein weltweit einzigartigen Weg der Kirchen. Denn wir dürfen einen "Dritten Weg" gehen – einen Weg, der aufgrund der Dienstgemeinschaft viel mit unserer Identität zu tun hat. Und dieser Weg heißt: In paritätisch besetzten Kommissionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird in einem Konsensprinzip unter Ausschluss des Streiks das verhandelt, was sonst die Gewerkschaften und die Arbeitgeber im "Zweiten Weg" verhandeln.

Der große Unterschied ist: Bei uns gibt es keine gewerkschaftliche Organisation innerhalb der Kirchen, und es gibt auch nicht das Recht auf Streik. Das heißt, wir sind zum Konsens verpflichtet. Und das geschieht auf eine sehr pragmatische, gute Weise, nämlich: Ich muss ein Drittel der anderen Seite für meinen Vorschlag gewinnen. Wenn die mitstimmen, ist der Konsens erreicht. 

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wenn die Grünen mit ihrem Antrag durchkommen, was würde das dann zum Beispiel für Eltern oder Patienten bedeuten? Denn es sind ja viele Krankenhäuser oder Kindertagesstätten kirchlich organisiert. 

Schrage: Man kann natürlich so argumentieren, dass es im Moment für Patienten, für Eltern im Kindergarten oder auch überhaupt in allen Einrichtungen der Caritas und der Kirchen den Vorteil gibt, dass sie nicht vom Streik bedroht sind. Das heißt, wir machen einfach unseren normalen Job, wir handeln das auf andere Art und Weise aus.

Ganz so ist es aber nicht, weil wir im "Dritten Weg" vom "Zweiten Weg", nämlich den Tarifauseinandersetzungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern, profitieren. Die handeln das im Prinzip aus. Und dann gucken wir uns das an und übernehmen das in weiten Teilen. Manchmal legen wir noch ein Schippchen drauf – gerade in der Altenpflege, in der Krankenhauspflege und so weiter wird ja auch deutlich, dass wir bessere Tarifverträge haben, dass wir eine kirchliche Zusatzversorgung haben und andere Dinge.

Aber von der Sache her muss man der Ehrlichkeit halber sagen: Der "Dritte Weg" funktioniert in Deutschland vor allen Dingen auch so gut, weil die Gewerkschaften oft schon das erkämpft haben, was wir dann für uns übernehmen.

Insofern ist dieser Ausschluss des Streiks bei den Kirchen ein zwiespältiges Ding. Darauf zielen die Grünen. Sie wollen, dass auch unsere Arbeitnehmer durch Gewerkschaften vertreten werden können und dass bei uns grundsätzlich auch der Streik möglich ist. Und was ganz interessant ist: Wir schließen in der kirchlichen Grundordnung – auch im neuen Entwurf – den Streik als nicht christlich aus. Er ist aber christlich.

Im Katechismus kann ich unter der Nummer 2435 lesen, dass der Streik ein legitimes Mittel in der Konfliktbearbeitung ist. Er muss sich nur am Gemeinwohl orientieren und er darf nicht gewalttätig sein. Das sagen auch die Sozialenzykliken. "Laborem exercens" von Johannes Paul II. von 1981 zum Beispiel sagt ganz klar: Der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist sittlich absolut berechtigt. Die Frage ist also: Warum schließen wir das eigentlich bei uns in den Kirchen aus? 

DOMRADIO.DE: Wie hoch, denken Sie denn, sind die Erfolgsaussichten des Antrags der Grünen? 

Schrage: Im Koalitionsvertrag steht es bereits drin. Ich bin mir aber sehr unsicher, ob sich das jetzt einfach schnell umsetzen lässt. Das glaube ich nicht. Denn es ist schon ein Grundrecht, das die Kirchen haben, das aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden ist. Die Frage ist, ob wir als Kirchen klug beraten sind, die Gewerkschaften so außen vor zu lassen.

Auf der einen Seite sagen wir, die Gewerkschaften sind wichtige Sozialpartner. Sie tragen zum sozialen Frieden in unserer Gesellschaft Erhebliches bei. Auf der anderen Seite sagen wir aber: Bei uns dürfen sie nicht rein. Und man muss sich mal fragen: Warum eigentlich nicht? Ist es nicht doch eher ein Relikt? Die Gewerkschaften waren früher eher kirchenfeindlich, atheistisch geprägt. Das sind sie heute gar nicht mehr. Das sind heute hochprofessionelle Tarifpartner, sehr verlässlich mit guten Argumenten.

Bruno Schrage, Referent für Caritaspastoral im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln

"Ich finde, wir sollten als Kirchen darüber nachdenken, in den viel engeren Dialog mit den Gewerkschaften zu treten."

Ich habe auch gar nicht die Sorge, dass wir bei uns plötzlich eine Streikkultur bekommen würden, wenn die Gewerkschaften – durch unsere eigenen Kolleginnen und Kollegen ja praktisch in Person auch vertreten – am Tariftisch sitzen würden. Ich würde doch mal darauf setzen, dass wir vielleicht einen "Vierten Weg" entwickeln können, wo wir zeigen, wie toll unsere christliche Kultur ist, dass wir mit der hohen Professionalität der Gewerkschaften im System Konfliktlösungen hinbekommen und gleichzeitig nicht unbedingt den Streik brauchen.

In der Caritas ist die Streikbereitschaft wirklich nicht sehr hoch. Das sind Menschen, die hoch sozial engagiert sind, die sich um die und den nächsten Patienten, Bewohner, den Menschen mit Handicap, mit Beratungsbedarf kümmern wollen. Die können sich alle nur ganz schwer vorstellen zu streiken. Ich wünschte mir, unsere Bischöfe wären etwas mutiger im Zugehen auf die Gewerkschaften. Und vielleicht haben die Grünen uns da einen guten Wink gegeben. Es geht gar nicht darum, ob die Politik das durchsetzt, sondern ich finde, wir sollten als Kirchen darüber nachdenken, in den viel engeren Dialog mit den Gewerkschaften zu treten. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR