Was eine rheinische Ordensfrau in Riga macht

 "Jeder verdient eine zweite Chance"

Als Postulantin hat sie sich in Lettland verliebt, heute ist die Rheinländerin Schwester Hannah Rita Priorin der Dominikanerinnen-Gemeinschaft in Riga. Sie kümmert sich um Gefängnispastoral, geistliche Begleitung und Freiwillige.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Schwester Hannah vor der Kirche zu Uexküll / © Marius Thöne (Bonifatiuswerk)
Schwester Hannah vor der Kirche zu Uexküll / © Marius Thöne ( Bonifatiuswerk )

Schwester Hannah Rita zieht die Boxhandschuhe über und schlägt ein paar Mal auf den Sandsack ein. Dass das gekonnt aussieht, ist kein Wunder: Als Jugendliche hat sie vier Jahre lang Aikido gemacht. Als Jugendliche wurde sie gemobbt, weil sie anders aussah als die anderen: Eine angeborene Lidhebeschwäche, so genannte Mongolenfalten, verleihen ihr um die Augen herum eine asiatische Anmutung. Die Hänseleien deswegen setzten ihr als Teenie so zu, dass sie ernsthaft an Selbstmord dachte.

Glaube hat gestärkt

Schwester Hannah schnürt auch schon einmal die Boxhandschuhe / © Marius Thöne (Bonifatiuswerk)
Schwester Hannah schnürt auch schon einmal die Boxhandschuhe / © Marius Thöne ( Bonifatiuswerk )

Den Wendepunkt in der Krise brachte damals allerdings nicht der Kampfsport, sondern der Glaube: "Das Wissen darum, dass ich nicht alleinige Herrin meines Lebens bin, dass ich es nicht einfach wegwerfen darf." Hannah Rita, die sich erst mit 13 auf eigenen Wunsch hatte katholisch taufen lassen, fand Trost bei einem Gott, "der ja zum Leben sagt."  Dass auch andere diesen menschenfreundlichen Gott kennenlernen, dafür wollte sie sich ein bisschen später mit Leib und Seele einsetzen. Sie googelte Ordensgemeinschaften und stieß auf die Dominikanerinnen von Bethanien, die von einem Gefängnisseelsorger gegründet wurden und deren Spiritualität auf der Überzeugung fußt, dass Gott jedem eine zweite Chance schenkt. Hannah Rita machte sich auf, die Schwestern kennenzulernen - und blieb. Weil sie sich gemeinsam mit einer jungen Lettin aufs Noviziat vorbereiten und deren Heimat kennenlernen sollte, kam Hannah Rita dann auch zum ersten Mal ins Baltikum. "Lettland war für mich Liebe auf den ersten Blick", sagt die resolute Ordensfrau heute. Ihr gefiel sofort, wie die dichten Wälder direkt an die Ostseestrände reichen und wie sehr die Menschen nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion ihrem kleinen Land verbunden sind. Sie fühlte sich sofort hierher gerufen, aber es dauerte ein wenig, bis ihr Orden sie tatsächlich in die Hauptstadt Riga schickte. Mit vollem Einsatz lernte sie die Sprache und engagierte sich in der übersichtlichen katholischen Szene des überwiegend lutherisch geprägten Staates. Mittlerweile lebt Hannah Rita seit gut zehn Jahren in Riga als Priorin einer kleinen Gemeinschaft mit drei lettischen Mitschwestern.

Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken

Das Bonifatiuswerk wurde 1849 in Regensburg bei der dritten Generalversammlung der Katholischen Vereine Deutschlands – einem Vorläufer der heutigen Katholikentage – als „Bonifacius-Verein für die kirchliche Mission in Deutschland“ gegründet. Namensgeber ist der als Apostel der Deutschen geltende heilige Bonifatius (672/675-754).

Bonifatiuswerk / © Andreas Kühlken (KNA)
Bonifatiuswerk / © Andreas Kühlken ( KNA )

Sensibel für den Schmerz anderer

Ihre eigene Leidensgeschichte als Jugendliche, ist Schwester Hannah Rita überzeugt, hat sie sensibel für den Schmerz anderer gemacht. So ist sie schon lange als Geistliche Begleiterin tätig, regelmäßig auch im einzigen Frauengefängnis Lettlands im Rigaer Stadtteil Ilguciema. Passend zum Leitbild ihres Ordens machen die Dominikanerinnen den Insassinnen dort verschiedene Angebote von Tanztherapie über Kleingruppenarbeit hin zu Gebetsabenden. Speziell bei solchen spirituellen Treffen, so die Erfahrung der 39-Jährigen, öffnen sich Räume für existenzielle Gespräche. Sorgen um Kinder, Ehemänner und Eltern kommen genauso zur Sprache wie Gewissensfragen rund um die begangenen Straftaten. Und wenn sich die Frauen mitten in der Haft ein Stück freier fühlen, ist auch das eine zweite Chance, findet Schwester Hannah Rita. 

In ihrem Kloster nehmen sie außerdem regelmäßig "Praktikanten im Norden" auf, die ihnen das Bonifatiuswerk aus Deutschland schickt. Diese jungen Leute eine Zeit lang auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben zu begleiten, ist Schwester Hannah Rita eine große Freude, sagt sie.  Wer erlebt, wie herzlich sie mit Menschen umgeht, glaubt das sofort. Die gebürtige Mondorferin ist nahbar und lustig und sie weiß, was sie will. "Wenn ich von den Diskussionen rund um den Synodalen Weg in Deutschland höre, fühle ich mich ganz schön weit weg", so Hannah Rita. Nur langsam habe sie verstanden, dass etwa die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in der katholischen Kirche im Baltikum zu Sowjetzeiten kaum angekommen sind und sich daran bis heute nicht so viel geändert hat. Sie erzählt von jungen Christen im Land, die die Älteren dafür bewundern, dass sie den Glauben durch die harte Zeit der Besatzung hindurch gerettet haben - und deswegen deren  Konservatismus respektieren. Aber Schwester Hannah Rita erzählt auch von Katholikinnen in Lettland, die ihr heute sagen: "Endlich tut sich was. Macht bloß weiter mit euerm Maria 2.0. Sondern ändert sich nie etwas!"

Lettland ist verletzlich

Gerade auch mit Blick auf Putins Angriffskrieg auf die Ukraine denkt sie längst wie eine Lettin, sagt Hannah Rita. Als direkter Nachbar Russlands und mit nationalem Besatzungstrauma im Nacken sei Lettland verständlicherweise alarmiert und fühle sich vom Westen nicht ausreichend unterstützt. In politischen Diskussionen versucht sie trotzdem oft, die Position des jeweils anderen zu erklären. Am Rhein aufgewachsen ist ihr Riga, die Stadt an der Düna, zur neuen Heimat geworden. Immer häufiger träumt die Ordensfrau sogar auf Lettisch. Trotzdem könnte es sein, dass ihre Tage im Baltikum gezählt sind: Im Frühjahr entscheidet das Generalkapitel darüber, ob sie als Novizenmeisterin nach Deutschland zurückkehrt.

Quelle:
DR