DOMRADIO.DE: Der 11.11. ist nicht nur der Gedenktag des heiligen Martin, sondern der Tag ist in Köln auch karnevalistisch besetzt. Bedeutet für Sie, Sankt Martin im Kölner Dom muss immer vorverlegt werden.
Monsignore Robert Kleine (Kölner Stadt- und Domdechant): Ja, wir haben den Martinszug immer am Vorabend. Gestern sind wir also vom Dom nach Groß Sankt Martin gezogen. Das ist aber ganz gut. Da ist die Stadt noch sauber und frisch. Und dann überlassen wir heute den 11.11. den Jecken.
DOMRADIO.DE: Stört Sie das eigentlich? Oder nimmt ihr rheinisches Gemüt das einfach so hin?
Kleine: Das nehme ich so hin. Es gibt ja viele Martinszüge von Schulen und Kindergärten, die schon in den Tagen vorher stattfinden. Und wir sind dann immer am Vorabend. Das ist eine gute Tradition, da wissen die Leute auch Bescheid.
DOMRADIO.DE: Gibt es eine Verbindung zwischen dem heiligen Martin und Karneval?
Kleine: Ja. Dass der Sessionsbeginn gerade am 11.11. ist, liegt daran, dass es auf Martini im Mittelalter noch große Märkte gab. Da wurde noch einmal alles verkauft, was raus musste, bevor dann eben die Winterpause begann. Und da hat man auch noch mal kräftig gefeiert. Feiern und Martin, das gehört zusammen.
DOMRADIO.DE: Es gibt viele Legenden über Martin, die über die Jahre entstanden sind, zum Beispiel das Verstecken im Gänsestall. Wie wichtig ist der Wahrheitsgehalt von solchen Legenden und Geschichten?
Kleine: Bei Legenden ist ja immer vielleicht ein kleiner, wahrer Kern dabei. Dass Martin eigentlich gerne Mönch geblieben wäre und gar nicht Bischof werden wollte, also sich vielleicht versteckt hat bei den Gänsen, das würde natürlich passen und auch, dass die ihn dann verraten haben. Sie müssen bis heute dafür leiden - durch die Tradition der Martinsgans.
Das sind Geschichten, die ihn ganz menschlich machen, die in Erinnerung bleiben und die man mittlerweile schon durch die Jahrhunderte tradiert und dabei an diesen besonderen Heiligen der Nächstenliebe erinnert.
DOMRADIO.DE: Martin ist der erste Heilige, der nicht für seinen Glauben gestorben ist. Also er war kein Märtyrer, sondern er wird gewürdigt als Bekenner des Glaubens. Ist er damit ein Heiliger zweiter Klasse?
Kleine: Nein, natürlich nicht. Denn Jesus sagt ja, wer alles selig ist - also die Friedfertigen, die Barmherzigen. Und in der großen Rede zum Gericht sagt er: Ich war hungrig, und ihr hat mir zu Essen gegeben.
Es geht also nicht darum, dass man als Märtyrer sterben muss, sondern den Glauben leben bedeutet, Nächstenliebe zu leben. Und da steht Martin neben den anderen bekannten Heiligen der Nächstenliebe - etwa Nikolaus oder Elisabeth, die uns ja in den nächsten Wochen erwarten. Sie alle machen deutlich: Heilig sein ist keine hohe Hürde, das kann jeder. Wir können zum Beispiel wie Martin nicht nur unseren Mantel teilen. Das ist vielleicht etwas schwierig, aber wir können Zeit oder ein Lächeln teilen. Das ist etwas, was ich auch gestern den Kindern versucht habe zu erklären: Es geht gar nicht um das Materielle. Es geht darum, dass ich den Nächsten grundsätzlich im Blick habe. Und Solidarität ist ja ein Wort, das in diesen Zeiten besonders wichtig ist.
DOMRADIO.DE: Dass das Sankt Martins-Brauchtum lebendig bleibt warum liegt Ihnen das am Herzen?
Kleine: Es ist etwas, was mich persönlich und sehr wahrscheinlich alle Hörerinnen und Hörer an die Kindheit erinnert. Und es ist etwas Schönes, dass in diese dunkle Zeit Licht getragen wird. Gestern die wunderbaren Laternen, die selbst gebastelt waren und dass klar wird: Auch unser Glaube ist etwas sehr Menschliches.
Das Martinsbrauchtum lädt auf spielerische Art ein, sich mit einem großen Heiligen zu befassen. Ich finde es wichtig, dass Sankt Martin "Sankt Martin" ist kein "Lichterfest" und dass es darum geht, dass anschließend vielleicht auch etwas geteilt wird - nämlich da, wo die Kinder für Süßigkeiten oder Obst singen. Das ist dann ein Zeichen der Sympathie und etwas ganz anderes, als wenn Kinder zu Halloween "Süßes oder Saures" schreien. Deshalb brauchen wir den Martin.
Das Interview führte Tobias Fricke.