Neuer Band der Kölner Stadtgeschichte im Frühmittelalter

"Heiligkeit" als gefühltes Band mit dem Bischof

Das "Heilige Köln" ist ein Topos, der bis heute nachklingt. Der neue Band der Stadtgeschichte spürt der Entstehung des Begriffs nach und stellt fest, dass Köln zur Zeit Karls des Großen seine Hausaufgaben machte.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kölner Dom im Hintergrund / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Kölner Dom im Hintergrund / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Derzeit scheint es nicht gar so weit her mit der Kölner Heiligkeit. Und so war es eigentlich auch zum Ausgang des Römischen Reiches. Klar, es gab ein paar frühe Märtyrer; bescheidene Anfänge; eine Bischofsstadt mit einer christlichen Gemeinde.

Aber: keine Apostelgräber oder Apostelschüler; nicht mal ein Kirchbau ist sicher nachweisbar. Am Ende des 4. Jahrhunderts war Köln alles andere als prädestiniert, zur "Heiligen Stadt" aufzusteigen. Rom, aber auch Trier oder Mailand waren da meilenweit "heiliger".

Blick auf den Kölner Dom / © Weronika Natur (shutterstock)
Blick auf den Kölner Dom / © Weronika Natur ( shutterstock )

Ein neuer Band der großen Kölner Stadtgeschichte, der an diesem Montag vorgestellt wurde, zeichnet nach, wie sich die rheinische Metropole im frühen Mittelalter ihren Nimbus als "hillig" (heilig) buchstäblich verdiente. Autor des zweiten Teils der auf 13 Bände angelegten Reihe ist Karl Ubl, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Uni Köln. Ubl macht das Streben nach Heiligkeit als eine regelrechte Konstante für die wechselvollen und von epochalen Brüchen gekennzeichneten Jahrhunderte von 400 bis 1100 aus.

Übergang zu fränkischer Herrschaft

Um das Jahr 400 hieß die Stadt Agrippina. Ihre Lage ließ die durch und durch römisch geprägte Stadt nicht direkt am lukrativen Mittelmeerhandel teilhaben; denn von den kulturellen und wirtschaftlichen Zentren des Weltreichs war sie denkbar weit entfernt. Strategisch aber war sie als Provinzhauptstadt ein wichtiges Bollwerk gegen die Franken auf der anderen Rheinseite.

Als sich kurz nach 400 die Römer militärisch zurückzogen, vollzog sich über Jahrzehnte ein Übergang zu fränkischer Herrschaft. Viele römische Bürger, vielleicht auch der Bischof, zogen sich aus der Stadt zurück; das römische Köln ging zugrunde. Erst ab den 530er Jahren nahm eine christliche Topografie innerhalb der viel zu groß gewordenen Mauern allmählich Gestalt an, und die Stadt erlebte einen neuen Aufstieg als königlicher Residenzort der Merowinger.

Karl der Große in der Domschatzkammer Aachen / © Alexander Rüsche (dpa)
Karl der Große in der Domschatzkammer Aachen / © Alexander Rüsche ( dpa )

Der Bischof fungierte dabei als Klammer über die Jahrhunderte. Nach dem Ende des Weströmischen Reiches garantierte er die Kontinuität von Schriftlichkeit, Verwaltung und Religion. Der Dom - der Vorgänger des heutigen natürlich - wurde zum mit Abstand mächtigsten Bauwerk der Stadt. Die lateinische Kultur war nicht gänzlich untergegangen; sie lag aber nun ganz bei der Geistlichkeit. Für einen langen Zeitraum gibt es keinerlei schriftliche Dokumente. Stadtgeschichtliche Quellen, die den Alltag von Bürgern, Handwerk und Verwaltung greifbar machen, fließen erst ab dem 12. Jahrhundert.

Zur Zeit Karls des Großen (768-814) war in Köln die antike Vergangenheit fast vergessen. Als einziges Gebäude aus der Römerzeit stand noch die Kirche Sankt Gereon. Um das Epochenjahr 800 herum war aber offenbar etwas geschehen: In einer Bonner Urkunde von 804 begegnen wir erstmals dem Markenzeichen der "Heiligkeit".

Die Heilige Ursula und ihre Gefährtinnen, dargestellt auf einem Gemälde von Niccolo di Pietro / © Everett - Art (shutterstock)
Die Heilige Ursula und ihre Gefährtinnen, dargestellt auf einem Gemälde von Niccolo di Pietro / © Everett - Art ( shutterstock )

Ganz beiläufig wird darin Hildebald als "Bischof der heiligen Stadt Agrippinensis" bezeichnet. Die Zahl der hier verehrten Heiligen und Reliquien war deutlich gesteigert worden, von innen - Kölner Bischöfe wie Severin und Kunibert - und außen, etwa um die beiden Ewalde aus England. Legenden wurden ausgebaut, wie jene um die heilige Ursula, die 11.000 Jungfrauen beigestellt bekam.

Viele Heiligenlegenden

Das Wissen über das Leben der in Köln verehrten Heiligen war allerdings damals noch rudimentär. Erst im 10. Jahrhundert wurde dieses Defizit behoben, durch Biografien voll fantasiereicher Ausschmückungen. Diese Heiligenlegenden sind zwar wertlos als historische Quelle für die Zeit, über die sie erzählen. Unschätzbar sind sie aber als Quelle für die Selbstwahrnehmung der Stadt und für die Schaffung einer eigenen Identität.

Ubl vergleicht die Heiligenkulte mit heutigen Fußballvereinen: Sie boten Gesprächsstoff im Alltag, gaben Ordnung im Jahreslauf und schufen durch Rituale und Prozessionen Gemeinschaft. Kleine Kulte im "Veedel" traten neben regionale Kulte. Besondere Genugtuung schufen Geschichten, in denen Kranke vergeblich Heilung durch Reliquien in anderen Kirchen suchten - und sie dann beim eigenen Heiligen vor Ort fanden.

Über Jahrhunderte war die eigene Heiligkeit fortan ein zentraler Bestandteil Kölner Identität. Nur hier wurde dem Stadtnamen auf der Rückseite von Münzen das Wort "sancta" zugefügt. Das "hillige Köln" wurde zum Markenzeichen, das sich selbst heute noch touristisch vermarkten lässt.

Bischof eigentlicher Stadtherr Kölns

Der Kölner Erzbischof gehörte unterdessen im Mittelalter zu den Säulen des Reiches, trug Verantwortung in kirchlichen wie weltlichen Angelegenheiten. Seit er im 10. Jahrhundert auch das königliche Recht der Gerichtsbarkeit übertragen bekam, war der Bischof eigentlicher Stadtherr der Handelsmetropole am Rhein.

Ihm unterstanden die Kirchen, später auch die Stifte und Klöster in- und außerhalb Kölns. Bald war er größter Grundbesitzer, bis 1074 eine neue Zeitenwende anbrach. Als die Stadt den Aufstand gegen den verhassten Erzbischof Anno II. probte, rekrutierte der binnen kürzester Zeit ein Ritterheer aus der Umgegend. Eine politische Einheit von Stadt und Umland gab fortan nicht mehr.

Information zum Buch: Karl Ubl: Köln im Frühmittelalter (400-1100) - Die Entstehung einer heiligen Stadt (Geschichte der Stadt Köln, Bd. 2), Greven Verlag, Köln 2022, 560 S., 60 Euro, ISBN 978-3-7743-0440-6

Kölner Dom

Blick auf den Kölner Dom / © BalkansCat (shutterstock)
Blick auf den Kölner Dom / © BalkansCat ( shutterstock )

Der Kölner Dom ist eine der bedeutendsten Kirchen der Welt und die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Deutschland. Das Gotteshaus beherbergt die Reliquien der Heiligen Drei Könige, die Erzbischof Rainald von Dassel 1164 aus Mailand nach Köln brachte.

Der Grundstein für den gotischen Neubau an der Stelle mehrerer Vorgängerkirchen wurde 1248 gelegt; 1322 wurde der Chor geweiht. Mittelschiff, Querhäuser und Seitenschiffe der Kölner Bischofskirche folgten bis 1560. Dann stoppten die Querelen um die Reformation und Geldmangel den Baubetrieb.

Quelle:
KNA