Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Wie geht es Ihnen?
Prälat Erich Läufer (Kölner Ehrendomherr und früherer Chefredakteur der Kirchenzeitung im Erzbistum Köln): Im Normalfall möchte jemand, der so fragt, wissen, wie es mir gesundheitlich geht. Ich habe in letzter Zeit einige Erfahrungen gemacht, von denen ich früher nicht einmal geträumt habe. Weil es nicht schnell genug ging, bin ich mehrfach gestürzt, habe Wirbel und Rippen gebrochen. Auch Corona habe ich gut überstanden. Ich weiß, mit 95 Jahren kann ich nicht jeden Tag Holz hacken. Ich tue es aber trotzdem, um nach fünf Minuten zu merken, wo meine Grenzen sind (lacht herzlich).
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Anders als Ihr Körper ist der Verstand so fit wie eh und je. Was motiviert Sie immer noch, publizistisch tätig zu sein?
Läufer: Das ist nicht einfach zu beantworten, ohne in den Verdacht zu geraten, einen "Fimmel" zu haben oder sich selbst zu überschätzen. Ich bin gerne Priester. Mich rufen viele Menschen an, die sich von meinen Beiträgen angesprochen und ermutigt fühlen, mit mir darüber zu sprechen. Oft habe ich hier Menschen sitzen, die Probleme haben und Rat suchen. Viele Briefe schreibe ich mit der Hand jenen, denen ich als Antwort Trost und Hilfe mit auf den Weg geben darf.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Seit fast 70 Jahren sind Sie Priester. Wie hat sich für Sie die Kirche in den sieben Jahrzehnten verändert und was lösen die Veränderungen in Ihnen aus?
Läufer: Dass Freunde von mir wissen wollen, ob ich nicht auf das falsche Pferd gesetzt habe mit dem Entschluss, Priester zu werden.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Was heißt das?
Läufer: Damals, als ich Priester wurde, gab es die Probleme von heute in der Kirche nicht. Wir haben alles geglaubt, was in Predigten oder in Vorlesungen gesagt wurde. Angenommen bis zum letzten Komma. Dass wir als Theologiestudenten Vorlesungen in evangelischer Theologie nicht besuchen durften, wurde nicht hinterfragt. Wie es damals zuging, möchte ich an einem Beispiel zeigen: Ich wurde von meiner ersten Kaplanstelle über Nacht nach Düsseldorf versetzt und musste in die Wohnung meines Vorgängers ziehen. Nur das Schlafzimmer durfte ich ausräumen. Was war mit ihm? Er saß wegen Missbrauchs von Messdienern im Gefängnis, das in dem Gebiet der Pfarrei lag. Der Pastor hat mir damals verboten, mit Messdienern, überhaupt mit Jungen umzugehen, ohne mich über die Gründe für solche Anweisungen aufzuklären. Er sagte aber gleichzeitig, die umlaufenden Gerüchte seien Lügen.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Das bedeutet, Sie sind ein früher Zeuge für Vertuschung, die heute der Kirche so angekreidet wird?
Läufer: So kann man es sagen. Aber der Fall, von dem ich spreche, galt als Einzelfall, der mir in seinen Auswirkungen erst in den letzten Jahren bewusst wurde. Erst rückblickend und mit dem Wissen von heute weiß ich, dass das kein Einzelfall war.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Fälle wie den beschriebenen hat es – wie wir heute wissen – an vielen Orten gegeben. Teilen Sie die Auffassung, die Kirche habe nur das Wohl der Institution, so gut wie nie das Schicksal der Opfer im Blick gehabt?
Läufer: Diese Frage macht mir im Gegensatz zu früher heute sehr zu schaffen. In den Vorlesungen damals wurde uns Studenten die Kirche als glaubwürdiger, unantastbarer Schatz dargestellt.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Wenn Sie heute nach einem erfüllten priesterlichen Leben und mit dem Wissen von 70 Jahren Priestersein nochmals vor der Entscheidung ständen, dieser Berufung zu folgen, könnten Sie dann mit der gleichen Entschlossenheit sagen: Hier bin ich!?
Läufer: Mit derselben Entschlossenheit sicher nicht. Aber die Liebe zum Priestertum als Dienst am Menschen und die Aufgabe, das Evangelium aufzugreifen und weiterzugeben, würde mich heute auch wieder bewegen, Priester zu werden.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Und die Institution, die Organisation Kirche, mit all ihren Räten und Gremien. Würde eine veränderte Sichtweise darauf Ihre Entscheidung beeinflussen?
Läufer: Nein. Sicher habe ich mich mehr als einmal über bestimmte Dinge geärgert. Aber ich habe nie unter einem System gelitten. Vielleicht deshalb, weil ich unter Umständen Entscheidungen getroffen habe, die für mich und mein Gewissen allein maßgebend waren. Aber es ist nie zu einem Konflikt oder einem Bruch mit der Kirche gekommen. Bei meiner Verabschiedung als Chefredakteur hat Kardinal Meisner einen wichtigen Satz gesagt: "Jede Wahrheit braucht jemanden, der sie ausspricht." Ein Priester muss so viel Freiheit und so viel Mut haben auszusprechen, wenn etwas schiefläuft, und auch, sich zu wehren. Ob ich in einem System untergehe, egal in welchem, oder den Kopf über Wasser halte, liegt letztlich an mir und weniger an dem System.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Sie haben verschiedene Erzbischöfe erlebt: Kardinal Frings hat Sie geweiht. Unter Kardinal Höffner haben Sie in der Kirche Karriere gemacht. Kardinal Meisner hat Ihnen vertraut und Sie mit wichtigen Aufgaben betraut. Kardinal Woelki kennen Sie seit ewigen Zeiten. Es ist sicher nicht vermessen, Sie als seinen Freund zu bezeichnen. Welchen Rat würden Sie ihm in dieser schwierigen Situation geben?
Läufer: Ratschläge gibt man persönlich ab und nicht in der Öffentlichkeit. Keinesfalls spreche ich ihm seinen guten Willen ab. Kritiker gibt es zuhauf und auch das bekannte Sprichwort: Viele Hunde sind des Hasen Tod. Je länger diese "Krise" anhält, umso schwieriger wird er damit fertig werden. Für mich zählt ein Beispiel aus dem Sport als Fußballer: Werde ich nicht mehr aufgestellt, dann höre ich auf zu maulen, denn dann liegt es wahrscheinlich an mir. Entweder suche ich mir einen anderen Verein oder ich wechsele den Ort. Dazu gehören Mut und die Kraft der Selbsterkenntnis, um zu sagen, ich lasse es sein. Darf das ein Kardinal?
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Kardinal Woelki hat in Rom seinen Rücktritt angeboten. Wie sehen Sie die Rolle des Papstes in diesem Drama?
Läufer: Ich wäre froh, wüsste man oft klarer, wo man bei Papst Franziskus "dran" ist. Es ist nicht immer leicht, zwischen dem zu unterscheiden, was er heute will und morgen sagt. Für uns alle wäre es besser, er würde seine Entscheidung über den angebotenen Rücktritt des Erzbischofs sehr bald treffen.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Wo sehen Sie die Kirche von Köln in fünf Jahren? Anders gefragt: Mit welchen Argumenten kann ich Freunde davon überzeugen, nicht aus der Kirche auszutreten?
Läufer: Ich habe gerade im Bekanntenkreis erlebt, dass ein junges Elternpaar aus einer "gut katholischen Familie" sein Kind nicht taufen lassen will. Das schmerzt. Kann es damit zusammenhängen, dass auch Glaubenswissen nötig ist, um in dieser Kirche zu leben? Die aktuelle Krise, die sicherlich zu solchen Entscheidungen beiträgt, darf nicht schöngeredet werden. Wer aus der Kirche austritt, schließt sich freiwillig aus einer Gemeinschaft aus, die feiert, was Christus uns als Erbe und Auftrag hinterlassen hat: Tut dies zu meinem Gedächtnis – die Feier der Eucharistie. Und warum wird fast totgeschrieben und vergessen, dass die Kirche auch viel Gutes und Hilfreiches verkündet und getan hat und heute noch tut?
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Aber braucht es neben dem Glaubenswissen nicht auch eine gewisse Empathie, ein Gefühl, warum es mir wichtig ist, sonntags in die Kirche zu gehen?
Läufer: Natürlich. Wenn Bischöfe und Priester, die vielen hauptamtlichen Helferinnen und Helfer in der Seelsorge nicht ihr Herz an die Angel hängen, braucht man sich über die Folgen nicht zu wundern.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Haben Sie noch Hoffnung für die Kirche?
Läufer: Ja. Die Kirche hat manch schlimme Zeiten überstanden. Jedes Mal, wenn ich nach Konstanz komme und das Gebäude sehe, in dem im 15. Jahrhundert ein Konzil tagte, denke ich an Jan Hus. Damals haben Bischöfe dem Reformer freies Geleit zugesagt. Als er den Versprechungen Glauben schenkte und nach Konstanz kam, haben sie ihn festgesetzt und wenig später verbrannt. Auch andere Schurkereien hat die Kirche überlebt. Wer glaubt, dass Gott in Jesus Christus in die Geschichte der Menschheit eingetreten ist, hofft, dass die Kirche auch die Stürme dieser Zeit überstehen wird. Nur eines ist gewiss: In zehn Jahren wird die Kirche in Deutschland anders aussehen, als wir es uns heute vorstellen. Sie wird aus der gegenwärtigen Krise lernen müssen.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Welche Rolle werden Frauen in Zukunft spielen?
Läufer: Vor dem Hintergrund, dass Papst Johannes Paul II. deutliche Worte gesprochen hat und die Diskussionen über die Priesterweihe für Frauen für beendet erklärte, läuft die aktuelle Diskussion über die Priesterweihe für Frauen ins Leere. Abgesehen davon werden Frauen aber mit wichtigen Ämtern betraut werden. Es hat zwar lange gedauert, doch inzwischen hat dies auch die Kirche begriffen. Sie wird Frauen mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Fühlen Sie sich von Ihrer Kirche heute noch ernst genommen?
Läufer: Wer ist mit Kirche gemeint? Die Gemeinschaft der Gläubigen? Die Korona der Mitbrüder? Die Freunde sind fast alle gestorben. Wenn man so alt ist wie ich, mag man sich manchmal so vorkommen wie ein in der Höhle zurückgelassener Eremit.
Kirchenzeitung im Erzbistum Köln: Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?
Läufer: Was ich mir wünsche? Geistige Klarheit, um am kirchlichen Leben weiter teilnehmen zu können. Die Fähigkeit, weiter publizieren zu dürfen, weil das ein Stück Seelsorge bedeutet. Die Dankbarkeit allen gegenüber, die mir zu einem erfüllten Leben verholfen haben. Das Vertrauen zu behalten, dass mit dem Tod nicht alles aus ist.
Das Interview führte Robert Boecker (Chefredakteur der Kirchenzeitung im Erzbistum Köln).
Information der Redaktion: Das Interview mit Prälat Erich Läufer wurde uns mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.