Die Zeit war dem Thema angemessen: Ganze fünf Stunden befragte der Rechtsausschuss im Bundestag Experten zu den drei Gesetzentwürfen, die die Hilfe zur Selbsttötung regeln und für eine bessere Suizid-Vorbeugung sorgen sollen.
Geladen waren vor allem Rechtswissenschaftler sowie Mediziner und Praktiker in der Suizidprävention und Hospizarbeit. Das Parlament hatte sich bereits im Juni in Erster Lesung mit den Entwürfen befasst.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Der Bundestag will damit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang 2020 antworten. Die Richter kippten damals das Verbot der geschäftsmäßige Suizidhilfe und formulierten zugleich ein weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, unabhängig von Alter oder Krankheit. Zugleich legten sie dem Gesetzgeber nahe, Missbrauch durch Schutzkonzepte zu verhindern. Niemand soll zur Selbsttötung gedrängt werden können.
Die Dresdner Suizidforscherin Ute Lewitzka nannte viele Beispiele für den Wunsch nach einem vorzeitigen Lebensende: die überforderte Frau im mittleren Alter, die "einfach einschlafen möchte", der 66-Jährige mit schwerer Krebsdiagnose oder eine 70-Jährige mit Demenz; aber auch der 23-Jährige mit Psychose oder die 16-Jährige, die gerade von ihrem Freund verlassen wurde.
Drei vorliegenden Gesetzentwürfe
Die drei vorliegenden Gesetzentwürfe wollen nun klären, wie Sterbewillige Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen können und Zugang zu tödlichen Mitteln erhalten. Dazu sehen sie unterschiedliche Beratungspflichten vor. Allerdings unterscheiden sie sich auch in der Grundausrichtung.
Bei der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci steht der Schutzaspekt im Vordergrund. Ihr von bisher 85 Abgeordneten unterstützter Entwurf sieht ein grundsätzliches Verbot der auf Wiederholung angelegten Suizidbeihilfe mit Ausnahmen vor.
Sterbewillige müssen demnach mindestens zwei Untersuchungen durch Fachärzte sowie eine weitere Beratung absolvieren. Werbung soll verboten werden.
Ausübung des Grundrechts
Bei den anderen Entwürfen geht es mehr um die Ausübung des Grundrechts. Eine Gruppe von 68 Abgeordneten um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr verlangt eine Beratung des Sterbewilligen durch eine anerkannte Beratungsstelle. Beihilfe kann dann jeder leisten, auch Ärzte.
Eine Gruppe von 45 Abgeordneten um die Abgeordnete Renate Künast (Grüne) unterscheidet wiederum zwischen Sterbewilligen in medizinischer Notlage, für die Ärzte zuständig sind, und andere Sterbewillige, die einen Antrag bei einer vom jeweiligen Land zu bestimmenden Stelle stellen müssen.
Auch die Experten hoben mal stärker auf die Grundrechtsgarantie oder den Schutzaspekt ab. Der Hamburger Rechtswissenschaftler Karsten Gaede bewertete eine mehrfache Beratung tendenziell als "Behinderung" des Grundrechts. Und für Gina Greeve vom Deutschen Anwaltverein stand das grundsätzliche Verbot im Widerspruch zum Karlsruher Richterspruch. Demgegenüber sah der Osnabrücker Jurist Arndt Sinn darin gerade eine Umsetzung des Urteils, da es die autonome Entscheidung schütze und für Rechtssicherheit sorge.
Zeit, Beratung und Begleitung gefragt
Weithin einig zeigten sich alle Experten, die in der Praxis mit Suizidwilligen zu tun haben: Sie betonten, dass der Sterbewunsch zumeist schwankend ist und in den allermeisten Fällen ein "Hilfeschrei" - wie Kerstin Kurzke, Leiterin der Hospiz- und Trauerarbeit des Berliner Malteser Hilfsdienstes sagte. Deshalb sei es "ganz wichtig nachzufragen, was die Gründe sind", so Kurzke.
Betroffene bräuchten vor allem Zeit, Beratung und Begleitung. Sie forderte eine Präventionsberatung. Ferner sollte ein Gesetz ausdrücklich festlegen, dass Dienste und Einrichtungen nicht zur Suizidhilfe verpflichtet werden könnten.
Unter Verweis auf Entwicklungen im Ausland äußerte Lewitzka die Sorge vor einer Veränderung der Gesellschaft durch eine Liberalisierung. In Belgien erhielten inzwischen selbst Menschen mit gut behandelbarer Depression Suizidbeihilfe. Die Kölner Fachärztin Barbara Schneider verwies auf Statistiken, wonach das Angebot die Nachfrage jährlich um zehn Prozent steigere - ohne dass brutale Selbsttötungen, wie der Sprung vor den Zug, abnähmen. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes, forderte deshalb ein "starkes Zeichen der Lebensbejahung" durch eine Stärkung der Prävention. Nötig sei eine umfassende Zuwendung, um Einsamkeit, Trauer, Angst, Schmerz und Leiden zu lindern und so ein würdiges Sterben zu ermöglichen.