Mehr als zwei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Selbsttötung kommt eine gesetzliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid in Sicht. Der Rechtsausschuss des Bundestages befasst sich am Montag in einer öffentlichen Anhörung fünf Stunden lang mit den drei Gesetzentwürfen zur Suizidbeihilfe. In einem zweiten Teil nehmen Sachverständige zum Thema Suizidprävention Stellung. Bereits im Juni hatte das Parlament sich in Erster Lesung mit den Themen Suizidbeihilfe und Suizidprävention befasst.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt. Die Richter formulierten zugleich ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Zugleich legten sie dem Gesetzgeber nahe, Missbrauch durch Schutzkonzepte zu verhindern. Alte und Kranke sollen nicht zur Selbsttötung gedrängt werden können.
Beratungspflichten, Schutzfristen und ein Vier-Augen-Prinzip
Alle drei Gesetzentwürfe sehen Beratungspflichten, Schutzfristen und ein Vier-Augen-Prinzip bei den Ärzten vor. Der zentrale Unterschied ist, dass die Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) die Suizidbeihilfe weiter über das Strafrecht regeln will. Sterbehilfe durch Sterbehilfevereine soll nur unter engen Voraussetzungen straffrei bleiben.
Um äußeren Druck auszuschließen, muss laut dem Entwurf ein nicht an der Selbsttötung beteiligter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bestätigen, dass die Entscheidung zum Suizid freiwillig, ernsthaft und dauerhaft ist. Der Suizidwillige muss mindestens zwei psychiatrische Untersuchungen im Abstand von mindestens drei Monaten vornehmen lassen. Verkürzt werden kann die Frist, wenn jemand an einer "nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung" leidet.
Der Entwurf sieht zudem einen neuen Paragrafen gegen die "Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung" vor. Demnach soll sich strafbar machen, wer "seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößige Weise" Suizidhilfe anbietet.
Recht auf Hilfe zur Selbsttötung
Gegen eine Regelung im Strafrecht spricht sich eine Parlamentariergruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Helge Lindh (SPD) und Petra Sitte (Linke) aus. Sie formuliert ein Recht auf Hilfe zur Selbsttötung. Zentraler Punkt des Gesetzentwurfs ist eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Ärzte sollen einer Person, die aus freiem Willen ihr Leben beenden will, ein Arzneimittel verschreiben dürfen. Voraussetzung ist allerdings eine Beratung durch eine Beratungsstelle. Der Arzt soll zudem zu einem ergebnisoffenen Aufklärungsgespräch verpflichtet werden und muss sich die Bescheinigung der Beratungsstelle vorlegen lassen. Von einer inneren Festigkeit des Sterbewunsches darf der Arzt erst ausgehen, wenn zehn Tage seit der Beratung vergangen sind.
Auch die Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul wollen Beratungspflichten außerhalb des Strafrechts regeln. Sie unterscheiden danach, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen. Im ersteren Fall soll den Ärzten eine entscheidende Rolle zukommen. Die Verschreibung eines tödlichen Medikaments soll nur nach Bestätigung durch einen zweiten Mediziner möglich sein.
Kein Entwurf im Sinne Karlsruhes?
Suizidwillige, die nicht schwer krank sind, müssten demnach längere Wartefristen und strengere Dokumentationsanforderungen erfüllen. Statt der Ärzte soll eine "nach Landesrecht zuständige Behörde" prüfen. Der Sterbewillige muss sich mit "einer zugelassenen privaten unabhängigen Beratungsstelle" zweimal beraten. Hilfe beim Suizid dürfen außer Ärzten auch andere Personen oder Vereine leisten. Sie müssen dafür aber zugelassen sein.
Sterbehilfevereine, humanistische Organisationen und ihnen nahe stehende Strafrechtler hatten sich zuletzt gegen eine erneute rechtliche Regelung ausgesprochen, insbesondere gegen eine Verankerung im Strafrecht. Alle drei Gesetzentwürfe verstießen weiterhin gegen das Karlsruher Urteil, kritisierten mehrere Vereine.
Sie kündigten für den Fall einer entsprechenden Entscheidung des Bundestags einen erneuten Gang nach Karlsruhe an.