Genau so sah sie aus. Eine kleine Hütte aus unbehandeltem Holz, die Dachschindeln aus Baumrinde, säuberlich aneinandergereiht. Die Hartplastik-Hirten in erdigen Tönen angemalt; ein Junge mit einem Lamm im Arm. Das Christkind in einer Krippe auf Stroh gebettet, kaum größer als eine Streichholzschachtel. Ein Lagerfeuer, mit einem rötlich eingefärbten Licht zum Anknipsen.
Weihnachtskrippen für Flutbetroffene
Die Frau mit den kurzen braunen Haaren strahlt so sehr, dass sich ihre Augen verengen. Rasch verpackt sie die Krippe. Sie besaß exakt ein solches Modell, das vor knapp eineinhalb Jahren von der Flut im Ahrtal zerstört wurde. Jetzt steht sein Bruder auf einem Tisch im katholischen Pfarrheim von Bad Neuenahr-Ahrweiler - und schon bald neben der Tanne im wiederaufgebauten Haus. Ein kleines Weihnachtswunder im November.
Weihnachtswunder wahr werden lassen, dafür ist in diesen frühen Abendstunden Ulrike Phiesel zuständig. Die stellvertretende Vorsitzende des Pfarrgemeinderats von Bad Neuenahr-Ahrweiler organisiert mit zwei Kolleginnen Weihnachtskrippen für Flutbetroffene. Auf den Aufruf für Krippenspenden meldeten sich vor allem Menschen aus dem Umkreis; mancher Ochs und Esel sind aber auch eine längere Reise angetreten.
Das Leben nach der Katastrophe
An jenem Mittwochabend Ende November haben Phiesel und ihre beiden Mitstreiterinnen rund 35 Darstellungen der Weihnachtsgeschichte in der 280 Jahre alten Zehntscheuer aufgebaut – dem Pfarrheim der Gemeinde, ebenfalls von der Flut beschädigt. Der große, kahle Raum ist frisch renoviert, Wände und Böden sind neu gemacht. Gemütliches Weihnachtsambiente sieht eigentlich anders aus.
Eine Familie mit zwei jungen Mädchen zieht von Krippe zu Krippe, begutachtet und betastet. Ihre Namen möchten sie lieber nicht nennen. Vier Meter stand das Wasser im Fluthaus, wie der Vater das zerstörte Heim nennt. Dorthin wieder zurückkehren? Er schüttelt den Kopf. Sie haben sich für ein neues Haus an anderer Stelle entschieden; Mitte Dezember soll der Einzug sein. Hoffentlich. Vater, Mutter, zwei Kinder. Und ein paar Krippenfiguren.
Am anderen Ende des Raumes streicht eine ältere Frau zärtlich über ein weißes Schaf. Einige ihrer Krippenfiguren aus hellem Holz konnten sie und ihr Mann aus den Fluten retten. "Die haben wir geschrubbt", sagt sie. Jetzt sind sie dunkler, wegen des Schlamms. Neue Figuren suchen sie keine, aber ein Häuschen. Das haben sie gefunden, aber "Spenden annehmen fällt mir schwer", sagt die Frau. Auch eineinhalb Jahre später noch.
Krippen mit Geschichte
In der Zehntscheuer stehen an diesem Abend nicht einfach nur Krippen. "Das ist ein Stück fremde Geschichte für Zuhause", sagt Phiesel. Fast allen Krippen liegen Briefe und Karten bei. "Liebe Ahrtaler", fangen sie an, oder "liebe neue Krippenbesitzer". Die handgeschriebenen Botschaften erzählen, wo die Krippe einmal gestanden, wer sie gebaut hat. Wer alles damit gespielt hat und wie viele funkelnde Kinderaugen sie schon betrachtet haben. Vor allem aber sagen sie: Wir haben euch nicht vergessen.
Auch Anja und Rainer sind in den Bruchsteinbau gekommen. Immer noch wohnen sie in einer Containersiedlung am Ufer der Ahr. Ihr Haus unweit des Flusses ist komplett zerstört. Sie hatten gehofft, dieses zweite Weihnachtsfest nach der Katastrophe wieder im vertrauten Gemäuer verbringen zu können. Doch die Bauarbeiten ziehen sich hin. Viele der Nachbarn aus angrenzenden Containern konnten mittlerweile zurück nach Hause. "Irgendwann sind wir auch dran", sagt Anja.
Genau zwei Gegenstände aus ihrem alten Hausstand konnten sie retten, die Krippe war nicht darunter. In ihrer Übergangsbleibe wohnen sie auf wenigen Quadratmetern. Der Weihnachtsbaum kommt in diesem Jahr vor die Tür, Anja hat für ihn schon einen Platz neben dem Eingang ausgesucht. Damit die neue, alte Krippe in die Wohnstube passt, wird sie das Sofa verschieben.
Anjas Blick fällt auf einen großen Stall aus Holz. Ein Stern sitzt auf der Spitze des Dachs. Vorsichtig fährt sie mit ihren Fingerspitzen über das raue Gebälk, ihre Augen sind glasig. Die Entscheidung ist gefallen. "Ich bin so happy", flüstert sie. Auf dem Dachboden der Krippe liegt altes Stroh. Anja lacht gerührt. Das schönste aber ist die beiliegende Karte, findet sie. Da schreibt eine Frau in geschwungener Schrift, dass ihr Großvater die Krippe selbst gebaut hat. Anja will ihr gleich morgen antworten.