Am Anfang war es nur Regen. Dann eine unvorstellbare Flut. Und später eine nie dagewesene Welle der Hilfsbereitschaft. Die dann auch noch auf die Opfer des Krieges übergeschwappt ist. Und immer mittendrin - als rettender Anker im Strom: Der Mann mit der blauen Kappe. Alfred. Oder auch "Onkel Alfred", wie ihn viele nennen. Der "Dealer".
"Onkel Alfred"
Nein, mit Drogen hat das nichts zu tun. Allenfalls mit einer Überdosis Adrenalin, wenn der 68-Jährige mal wieder drei Sachen gleichzeitig macht und dann auch noch das Handy klingelt. Und das klingelt eigentlich ohne Pause: "Braucht Ihr noch Pantoffeln?" - "Klar, immer!" - "Wann kann ich den Karton Nudeln vorbeibringen?" - Samstag" - "Was brauchen Sie denn am dringendsten?" - "Im Moment Geld, um den LKW zu bezahlen." Und so weiter...
"Onkel Alfred" ist Alfred Eich aus Rheinbach in der Nähe von Bonn. Der Inhaber eines kleinen Fotogeschäfts, das inzwischen sein Sohn führt, ist in dem Voreifelstädtchen bekannt wie der oft beschworene "bunte Hund". Und weil er selbst auch "Gott und die Welt" kennt, war er genau der richtige Mann am richtigen Platz, als im Juli 2021 die Flut über Rheinbach, das nahe Ahrtal und viele weitere Dörfer und Städte der Umgebung hereinbrach.
Ehemalige Kirche wirkt segensreich weiter
"Wir hatten Glück in unserem Haus, das Hochwasser blieb kurz davor stehen", erklärt er. Und so war er sofort dabei, als Ex-Bürgermeister Stefan Raetz nach Menschen suchte, die selbst nicht oder kaum betroffen waren und mit anpacken und organisieren konnten, um anderen zu helfen.
Und hier kam die ehemalige Pallotti-Kirche ins Spiel, die kurz zuvor vom Orden der Pallottiner aufgegeben und entweiht worden war. "So stand mitten in der Stadt ein großer Raum als Spenden-Sammellager und Ausgabestelle zur Verfügung", erinnert sich Raetz: "Ein Telefonat mit dem neuen Eigentümer und ich hatte den Kirchenschlüssel - seitdem steht die Kirche nicht mehr leer, sondern kann weiter segensreich wirken."
Sammeln und wieder verteilen
Alfred Eich war von Anfang an Tag und Nacht mit seinem roten Transporter unterwegs. Sammeln und wieder verteilen - egal ob Schaufeln, Gummistiefel, Windeln, Taschenlampen oder warme Mahlzeiten: "Über Wochen habe ich jeden Tag rund 1.500 Essen abgeholt und in Rheinbach und im Ahrtal ausgeteilt."
Und das war nur der Anfang, wie Raetz betont: "Alfred hat sich schnell zum begnadeten 'Dealer' entwickelt. Was wir zu viel im Spendenlager hatten, hat er in anderen Lagern gegen das getauscht, was wir nicht hatten." Stromgenerator gegen Bautrockner, Waschpulver gegen Kinderkleidung, Schokolade gegen Kaffee.
"Das hat sich einfach ergeben", antwortet der 68-Jährige auf die Frage nach der Motivation: "Ich habe sowas noch nie vorher gemacht." Ein Konzept? Eine Strategie? Fehlanzeige. "Wir haben einfach Tag für Tag aufs Neue improvisiert." Und auch Stefan Raetz ist bis heute "überwältigt" vom Engagement: "Diese Hilfsbereitschaft hat uns allen das Herz erwärmt. Aus einer bunt zusammen gekommenen Helfergruppe ist ein großer Freundeskreis entstanden."
Und noch ist kein Ende in Sicht, auch wenn es zunächst danach aussah. Zum Jahreswechsel - ein gutes halbes Jahr nach der Flut - war das Gröbste erledigt, das Meiste verteilt und die Kirche wieder leer. "Und dann kam Putin", bringt es Alfred Eich knapp auf den Punkt. Und sofort war klar: "Wir machen weiter!" Und wieder türmen sich seither die Spenden in der ehemaligen Kirche.
Die nächste Aufgabe
Der große Unterschied: "Onkel Alfred" und sein roter Transporter sind jetzt nicht mehr im Ahrtal und der Eifel unterwegs, sondern nach Lwiw, Charkiw oder Tscherniwzi. Dreimal war er schon dort, noch im Dezember folgt die vierte Tour. Rund 2.500 Kilometer - eine Strecke. Immer zusammen mit Andreas Klassen, der ihm als Fahrer und Dolmetscher zur Seite steht.
"Ich dachte, ich kenne Menschen, die arm und in Not sind, und welche, die noch ärmer sind", erzählt Eich von seinen Touren: "Jetzt weiß ich: Es geht noch schlimmer." Er berichtet von einer 80-Jährigen in den "vergessenen Dörfern" rund um Charkiw, die ihn tränenüberströmt in den Arm genommen und gesegnet habe, als er ihr einen Beutel mit Lebensmitteln überreichte: "Das ist Emotion pur, da kann man doch nicht aufhören zu helfen."
Auch wenn es nicht ohne Risiko ist. Nicht nur einmal mussten die Rheinbacher Helfer ihre Tour spontan umplanen, weil es Raketenalarm gab und die Einschläge immer näher kamen. "Klar hab ich da Angst", gesteht der sonst so coole Macher ein. Und seiner Frau habe er auch versprochen, immer gut auf sich aufzupassen: "Wir haben abgemacht, dass ich mich zweimal am Tag melde, damit sie weiß, dass es mir gut geht."
"Das sind echte Helden!"
Aber was sei schon seine Angst gegen das, was die Menschen vor Ort erleiden. Etwa die Patienten und Mitarbeiterinnen in einem von Raketen beschädigten Krankenhaus bei Charkiw: "Alle Türen sind raus, statt Fenstern gibt es Plastikplanen, Heizung und Strom fallen immer wieder aus - und doch arbeiten die Leute rund um die Uhr und retten anderen das Leben. Das sind echte Helden!"
Und er selbst? "Um Gottes Willen", winkt er ab: "Ich tue was ich kann. Wir können nicht die ganze Welt retten, aber wenn wir ein paar Quadratmeter schaffen, ist das doch auch schon was." Apropos "Um Gottes Willen" - mit der Kirche hat Alfred Eich schon länger "nix mehr am Hut". Doch der Glaube ist für ihn "das Stärkste, was es gibt: Der hilft auch, wenn ich am Arsch bin und wenn sonst nichts mehr geht".
Gottvertrauen und Stoßgebete im Kriegsgebiet
Gerade auf seinen Touren ins Kriegsgebiet habe er abends oft ein Stoßgebet zum Himmel geschickt: "Danke lieber Gott, dass Du uns heute wieder beschützt hast". Und seit er sich hier in der Pallottikirche engagiere, fühle er sich "Gott näher als je zuvor".
Gottvertrauen und Hilfe von oben kann "Onkel Alfred" auch für seine nächsten Deals gut gebrauchen, Unter anderem hat er gerade eine ganze Arztpraxis ausgeräumt, um sie in die Ukraine zu bringen. Und er hat 30 Krankenhausbetten organisiert sowie Röntgengeräte.
Dazu einen 40-Tonner, der das Ganze nach Charkiw bringen kann. Und - nicht zu vergessen - je 1.000 Pantoffeln, Mützen und Schals. Ein sehnlicher Wunsch aus dem zerschossenen Krankenhaus. Den er natürlich mit ein paar Anrufen erfüllen konnte. Was noch fehlt, ist das Geld für den 40-Tonner samt Fahrern und Nebenkosten. Rund 3.500 Euro werden das wohl sein, schätzt Eich und ist optimistisch, dass er die Summe bald zusammen hat.
Und was kommt nach dem Krieg? "Das Hilfezentrum Pallottikirche wird solange weitermachen, wie wir wirklich gebraucht werden", verspricht Stefan Raetz. Alfred Eich ergänzt: "Ich mache weiter, so lange ich fit bin und so lange Leute da sind, die mit anpacken." Und damit nur ja keine Langeweile aufkommt, gibt es da ja auch noch rund 80 Geflüchtete aus der Ukraine, die in einer Rheinbacher Unterkunft leben und für die er besorgt, was sie gerade brauchen. Ein echter "Dealer" eben.