Kommentar des Chefredakteurs zum Schmerzensgeldprozess

"Vorbildlich"

Erstmals befindet ein Gericht über die Schmerzensgeldforderung eines Missbrauchsbetroffenen gegen die katholische Kirche. Vor Beginn hatte Kardinal Woelki auf eine Verjährungseinrede verzichtet. Sehr gut, sagt Ingo Brüggenjürgen.

Ingo Brüggenjürgen / © Harald Oppitz (KNA)
Ingo Brüggenjürgen / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Erzbistum Köln stellt sich Verantwortung, so steht es auf der jüngsten Pressemitteilung. Das stimmt! Unmittelbar vor dem Prozessbeginn beim Kölner Landgericht ist die Entscheidung des Kölner Erzbischofs, im Fall von Georg Menne auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, die richtige Übernahme von Verantwortung.

Georg Menne ist in den 70er Jahren nach eigenen Angaben über 300 mal von einem Priester sexuell missbraucht worden. Legal wäre es gewesen, einfach nur die Karte der Verjährung zu ziehen. Wenn das Kölner Erzbistum im konkreten Einzelfall jetzt darauf verzichtet, macht es so sehr deutlich, dass es neben allen juristischen Regelungen immer auch eine moralische Verpflichtung gibt. Der stellt man sich jetzt ohne Wenn und Aber.

Vor Gericht kann jetzt ganz unabhängig festgestellt werden, ob ein Rechtsanspruch besteht und ob die bisher gezahlten kirchlichen Anerkennungsleistungen für das erlittene Leid ausreichend sind. Auch in dieser Hinsicht hat der Fall vor dem Kölner Landgericht Signalwirkung. 

Mit seiner Entscheidung dürfte sich der Kölner Kardinal in den Reihen seiner bischöflichen Mitbrüder nicht automatisch beliebter gemacht haben, denn jetzt kommen womöglich ganz andere Geldsummen auf den Tisch, die eingefordert werden. Die katholische Bischofskonferenz hatte vorsorglich bereits klar gemacht, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele, die keinerlei Bindungsauswirkung für Fälle in anderen Diözesen habe.

Hört, hört, möchte man ausrufen. Doch warum sollte nicht auch in anderen Bistümern die moralisch juristische Verantwortung zukünftig noch viel stärker als bisher im Vordergrund stehen? Schmerzensgeldzahlungen können niemals erlittenes Leid wiedergutmachen. Aber wer bei der Aufarbeitung des Missbrauchs und den Zahlungen bis an die eigene Schmerzensgrenze geht, der handelt gut und richtig.

In konkreten Fall verschanzt sich der Kölner Kardinal nicht hinter juristischen Schutzmauern, sondern übernimmt Verantwortung. Das ist vorbildlich. Es sollte für ihn und andere Bischöfe aber auch in vielen anders gelagerten Fällen zukünftig der einzig richtige Weg sein.

Ingo Brüggenjürgen

Chefredakteur

Quelle:
DR